Sommer, Sonne, Sozialismus 2.0

Kaum zu glauben, es ist tatsächlich schon wieder ein Jahr her, dass ich hier eine Urlaubskolumne mit dieser Überschrift veröffentlichte. Einerseits verging die Zeit wie im Flug, andererseits ist der Urlaub für mich dringend notwendig. Es waren tatsächlich turbulente Monate, mit so mancher Berg- und Talfahrt der Gefühle. Hinzu kommt wohl, dass mit zunehmendem Alter die Zeit schneller vergeht. Jedenfalls im Empfinden.

Für die nächsten drei Wochen (mit kurzer Unterbrechung am kommenden Mittwoch) habe ich mir viel vorgenommen: viel Ruhe, viel Entspannung. Beine und Seele baumeln lassen, chillen, wie es neudeutsch heißt. Ich bin auf dem Darß zu Hause, da kann ich Urlaub machen ohne zu verreisen, ideal für Körper und Umwelt. Ich freue mich darauf, von Boje zu Boje zu schwimmen, statt von Termin zu Termin zu hasten; zu radeln, statt zu rasen; Kontra beim Skat, statt im Plenarsaal zu geben und an Sommerabenden statt auf Pressekonferenzen zu grillen. Je nach Lust und Laune finde ich Ruhe oder Ablenkung vor der Haustür: Im Wasser und im Wald, in sehenswerten Fischerdörfern, im Darß-Museum in Prerow, im Kunstmuseum Ahrenshoop, zu den „Darß-Festspielen“ in Born oder bei den „Naturklängen“ am „Hohen Ufer“ hinter Wustrow und im Hafen von Dierhagen.

Überhaupt bietet die Ostseeküste neben grandioser Natur und fabelhaften Altstädten für jeden Geschmack und jedes Alter etwas: Die wunderbare Kunsthalle Rostock und das Caspar-David-Friedrich-Zentrum Greifswald, das Ozeaneum in meiner Geburtsstadt Stralsund, den Baumwipfelpfad im Naturerbe-Zentrum bei Prora und die Störtebeker Festspiele in Ralswiek auf Rügen, „Klassik am Meer“ in der rustikalen Feldsteinkirche Koserow und die pfiffige interaktive Ausstellung „Phänomenta“ in Peenemünde auf Usedom und und und. Ich kann nur jeder und jedem empfehlen: Kommen Sie nach Mecklenburg-Vorpommern und Sie sind platt! So viel Werbung und Lokalpatriotismus müssen sein!

Selbstverständlich habe ich auch das Lesen in meinem Ferienprogramm. Zunächst lese ich den bei mir noch offenen Titel von Sebastian Fitzek „Abgeschnitten“, den er zusammen mit dem Rechtsmediziner Michael Tsokos geschrieben hat. Dann den Polit-Thriller des Jahres „Ultimatum“ von Christian von Ditfurth und auf alle Fälle werde ich Jean Zieglers „Was ist so schlimm am Kapitalismus? Antworten auf die Fragen meiner Enkelin“ lesen. Das interessiert mich, weil dieser Autor stets brillante Argumente für linke Politik formuliert, und überdies, weil es mich natürlich an Jürgen Kuczynskis 1983 erschienenen und 1996 fortgesetzten „Dialog mit meinem Urenkel“ erinnert. Also: Ganz ohne politische Literatur wird es auch in diesem Urlaub nicht gehen, aber ich sehe das auch als Qualifizierungsmaßnahme für meine Rolle als Großvater.

Apropos Politik: Vermutlich werde ich der auch im Urlaub nicht völlig entrinnen. Mir werden unter anderem Gäste aus Brandenburg, Sachsen und Thüringen über den Weg laufen, Länder, in denen demnächst Landtagswahlen anstehen. Dann wird hin und wieder der Sandstrand auch zum Infostand. Na ja, selber Schuld, schließlich habe ich im Zusammenhang mit dem von der LINKEN beantragten Treuhand-Untersuchungsausschuss meine Bundestags-Kolleginnen und -Kollegen aus dem Osten aufgefordert, in Ihren Wahlkreisen genau hinzuhören, was die Menschen von unserem Vorstoß halten, der auf die emotionale Einheit und den inneren Frieden in unserem Land zielt. Ansonsten hoffe ich, in diesen Tagen der Politik ein Stück weit entkommen zu können. Sicher sein kann ich mir da aber nicht, angesichts einer Regierungskoalition, die von Krise zu Krise stolpert.

Die Brücke zum Ernst des Lebens ist jedoch auch eine zu den Vergnügungen des Alltags. Bald startet die Fußball-Bundesliga wieder und ich freue mich darauf, an der Alten Försterei das eine oder andere Spiel des Neulings 1. FC Union zu sehen. Toi, toi, toi! Um auf meine eingangs geäußerten Gedanken zurückzukommen: „Die Zeit ändert sich mit den verschiedenen Lebensabschnitten“, habe ich in der Autobiographie der Literatur-Nobelpreisträgerin Doris Lessing gelesen. Vielleicht gelingt es mir trotzdem, jetzt Kindheitsgefühle wiederzuerwecken. Schön wär’s, schließlich waren damals die Sommerferien immer sehr, sehr lang…