Unsere historische Verantwortung: Aufarbeitung der Geschichte der DDR und der SED

Rede zum Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur

Menschen aus der DDR bringen Erfahrungen und Lebensleistungen in die deutsche Einheit ein, auf die sie stolz sein dürfen und stolz sind. Wer das ignoriert, leistet keinen Beitrag zur Einheit.

 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um das klar und deutlich vorweg zu sagen: Natürlich wollen auch wir eine seriöse, eine wissenschaftliche Aufarbeitung; natürlich bleibt das auch weiterhin eine gesellschaftliche Aufgabe. Deshalb ist parteipolitische Instrumentalisierung in dieser Frage wirklich fehl am Platz, Herr Kurth.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sonst muss man auch einen Halbsatz zu den Blockparteien sagen. Wenn es eine Frage der Aufarbeitung sein soll, wenn jemand eine Mao-Fibel geschenkt bekommt, dann sind wir wirklich nicht sehr weit gekommen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ihr müsst doch verlangen, dass Das Kapital verschenkt wird!)

 

Ich will das ist ganz klar sowohl zum Bericht als auch zur Rede des Herrn Staatsministers Widerspruch anmelden. Zunächst einmal will ich darauf hinweisen und das hat nichts mit Verklärung zu tun , dass die DDR-Geschichte natürlich zuallererst auch eine Geschichte der deutschen Teilung und ein Teil der deutschen Geschichte ist. Die DDR ist doch nicht vom Himmel gefallen. Der Bundestagspräsident hat heute auf das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 hingewiesen. Die DDR ist eben auch ein Ergebnis der größten Katastrophe, die wir in Deutschland hatten. Hitler-Deutschland, der Zweite Weltkrieg und der Holocaust das alles hat dazu geführt, dass es eine sowjetische Besatzung und im Ergebnis die Gründung der DDR gegeben hat. Auch deshalb lehnen wir als Linke jeden Versuch der Delegitimierung der DDR von Anbeginn ab, und das wird auch so bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer, wie es auch im Bericht steht, von kommunistischer Diktatur in der SBZ und in der DDR redet, der beweist sowohl, dass er vom Kommunismus wenig Ahnung hat, als auch, dass er die damaligen Abläufe nicht verstanden hat. Es ist doch kein Zufall, dass viele Intellektuelle nach dem Zweiten Weltkrieg eben diesen Staat ausgewählt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Viele haben schnell erkannt, dass es eine Illusion war, und sind dann gegangen oder mussten gehen!)

Das ist kein Zufall; dafür gab es Gründe. Thomas Mann, Stefan Heym, Friedrich Wolf ich kann Ihnen ganz viele Namen nennen , die sind alle dorthingekommen, und sie hatten Gründe dafür.

(Holger Krestel (FDP): Wie viele Intellektuelle wollten denn ausreisen aus dem Staat?)

 

Ich will auch daran erinnern, dass nach der Zerschlagung Hitler-Deutschlands in der Sowjetischen Besatzungszone die SPD, die KPD und die CDU als Parteien zugelassen worden sind. Eine Lehre aus der Geschichte war der Auftrag: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Das war das Motto aller Parteien dort. Wer dies bei der Geschichtsaufarbeitung nicht zur Kenntnis nimmt, der kommt nicht ans Ziel.

(Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Das sollten Wissenschaftler machen, nicht Politiker!)

Ich will daran erinnern, dass die DDR schon 1949 den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung angesehen hat. In der Bundesrepublik hat dies Richard von Weizsäcker 1985 zur Staatsräson gemacht. Auch das gehört mit zur Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

 

Ein zweiter Punkt: Es ist ganz klar und eindeutig, dass kein Mensch einen Schlussstrich will. Auch wir wollen die Auseinandersetzung mit der Geschichte. Keine Partei hat das so kritisch, so selbstkritisch wie die damalige PDS gemacht.

(Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Reinwaschen!)
Herr Kurth, da geht es nicht um Reinwaschen. Das ist doch einfach nur dummes Zeug. Ich will vom außerordentlichen Parteitag 1989 er war die Wiege der damaligen PDS zitieren:

„Die Delegierten des Sonderparteitages sehen es als ihre Pflicht an, sich im Namen der Partei gegenüber dem Volk aufrichtig dafür zu entschuldigen, dass die ehemalige Führung der SED unser Land in diese existenzgefährdende Krise geführt hat.“

(Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Nennen Sie mal die Menschen! Das ist das Thema heute!)

„Wir sind willens, diese Schuld abzutragen. … Der außerordentliche Parteitag hat den Bruch mit der machtpolitischen Überhebung der Partei über das Volk, mit der Diktatur der Führung … vollzogen.“

(Volker Kauder (CDU/CSU): Aber für die Todesstrafe haben Sie sich nicht entschuldigt und den Schießbefehl!)

 

Diesen Weg sind einige gegangen, viele nicht. Bei Ihnen ist das ganz einfach: Diejenigen, die am Tag danach wussten, dass alles falsch war, und sich sofort woanders engagiert haben, sind die Guten. Diejenigen, die sich auf den schwierigen Weg gemacht haben, persönlich die Geschichte und Verantwortung selbstkritisch aufzuarbeiten und Schlussfolgerungen zu ziehen, sind für Sie die Bösen, weil Sie das parteipolitisch instrumentalisieren.

Ich werfe Ihnen das überhaupt nicht vor; aber Sie wissen gar nicht, unter welchen Auseinandersetzungen diese Aufarbeitung in der PDS bzw. in der Linken stattgefunden hat. Das ist eine sehr, sehr kritische, schmerzhafte Auseinandersetzung auch unter Tränen gewesen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das glaubt Ihnen doch kein Mensch!)

Es ist das Kuriose, dass teilweise selbst diejenigen, die nach 1989 geboren wurden, für alles zuständig sein sollen, was die Vergangenheit seit dem Bauernkrieg betrifft. Das nehmen wir gerne an; das ist in Ordnung. Wir wollen auch diese Zuständigkeit und diese Auseinandersetzung. Nehmen Sie aber zur Kenntnis: Die SED hatte 2,3 Millionen Mitglieder. Weniger als 1 Prozent davon sind heute in der Linken, und es ist so, dass diese die Auseinandersetzung vorangetrieben haben.

(Veronika Bellmann (CDU/CSU): Sie haben ein ganzes Volk terrorisiert!)

 

Ein dritter Punkt: Wir setzen uns nicht Ihretwegen mit der Geschichte auseinander, sondern um unserer selbst willen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen sie aus unserem Interesse, und zwar um der Zukunft einer demokratisch-sozialistischen Partei willen. Nichts anderes kann der Maßstab sein.

Ich will noch ein Zitat anführen, weil das Thema „Mauer“ da eine Schlüsselfrage ist. Wir haben zum 40. Jahrestag des Mauerbaus erklärt:

An der bitteren Erkenntnis, dass der Staatssozialismus in der DDR am Ende war, als die Mauer gebaut wurde und es kein Konzept zu ihrer Überwindung gab, führt kein Weg vorbei.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Und weiter:
„Ein Staat, der sein Volk einsperrt, ist weder demokratisch noch sozialistisch.“

(Beifall bei der LINKEN)

„Was immer die konkreten Umstände waren, die zu dem Ereignis … führten – diese Lehre … ist unumstößlich.“

 

Ich möchte noch zwei Bemerkungen machen. Erstens. Es ist wirklich inakzeptabel, wenn, wie im Bericht geschehen, eine Gleichsetzung der DDR mit dem faschistischen Hitler-Regime erfolgt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist wirklich inakzeptabel. Ich will dazu Egon Bahr zitieren, der sagte: Die Millionen Leichen sind eben nicht mit Millionen von Aktenbergen zu vergleichen. Mögen wir doch bitte gemeinsam dabei bleiben. Diese Gleichsetzung ist in keiner Weise zu akzeptieren.

(Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Das kann doch wohl nicht wahr sein! Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)

Wer die DDR-Geschichte nicht als Teil der deutschen Geschichte und als Teil der Geschichte der deutschen Einheit sieht, der begreift nicht,

(Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Das ist ungeheuerlich!)

dass es andere Ursachen für diese Entwicklung gegeben hat. Wer nicht bereit ist, zu verstehen, dass Menschen aus der DDR Erfahrungen und Lebensleistung in die deutsche Einheit einbringen, auf die sie stolz sein dürfen und auf die sie stolz sind, der wird Geschichte nie verstehen und leistet keinen Beitrag zur deutschen Einheit.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)