Gemeinsamer Gastbeitrag Christian Lindner und Dietmar Bartsch

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Linke und Liberale in kaum einer politischen Frage natürliche Verbündete sind. Die Linke setzt auf eine lenkende Rolle des Staates, Freie Demokraten setzen auf die Kraft der Eigenverantwortung. (…) Dennoch ist es Tradition und eine Stärke unserer Demokratie, dass die Opposition bei Grundrechtsthemen gegenüber der Regierung gemeinsam für die Rechte des Parlaments eintritt. Die Missachtung des Parlaments beim Corona-Management der Bundesregierung ist ein solcher Fall. (…)

Eine verfassungsrechtlich nicht legitimierte Ministerpräsidentenrunde entscheidet bis heute über die massivsten Grundrechtseinschränkungen in der Bundesrepublik seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Es werden Regeln geändert, die Bewegungsfreiheit beschränkt, ganze Wirtschaftszweige stillgelegt. Die gewählten Parlamentarier können das Geschehen aber ebenso wie alle Bürgerinnen und Bürger im Land nur am Fernsehschirm verfolgen. Im Bundestag wird in Debatten nur nachträglich über längst beschlossene und zementierte Maßnahmen diskutiert. Solche Entscheidungsprozesse drohen auf längere Sicht unsere parlamentarische Demokratie zu deformieren. (…)

Dabei sind die Fehler der Regierung zahlreich: Schutzmaterialien wurden Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen viel zu spät zur Verfügung gestellt, die Schulen in den Sommerferien nicht auf den Herbst und Winter vorbereitet. Bis heute ist es trotz immer strengerer Beschränkungen für die Gesamtbevölkerung nicht gelungen, einen wirksamen Schutzschirm über die am meisten gefährdeten Menschen in Pflegeeinrichtungen zu spannen. Unsere Fraktionen haben schon frühzeitig vor diesen Entwicklungen gewarnt (…).

Doch im Zuge der fehlenden Parlamentsbeteiligung ist die Exekutive taub geworden für alternative Strategien. (…) Das politische Versagen beim besseren Schutz der Risikogruppen wurde durch eine immer schärfere Rhetorik gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern kaschiert. Der daraus entstehende Schaden für die Akzeptanz und das Vertrauen in die Legitimation der Maßnahmen ist in der Bevölkerung immens.(…)

Wie sehr sich die Bundesregierung vom normalen Ringen im parlamentarischen Alltag entfernt hat, zeigt sich beim chaotischen Impfstart. Unter Wissenschaftlern, Medizinern oder Journalisten lässt sich wahrscheinlich kaum jemand finden, der den Beginn der Impfkampagne in Deutschland als gelungen bezeichnen würde. Dennoch wird das bloße Hinterfragen von Vorgängen und Entscheidungen bei der Impfstoffbestellung und -produktion von den handelnden Ministern geradezu als Majestätsbeleidigung gewertet. (…)

Ein Ende des Regierens am Parlament vorbei ist leider nicht in Sicht. (…) Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier verteidigt dies mit der Begründung, die Ministerpräsidentenrunde mit der Kanzlerin sei „ein Erbstück aus der Bismarck-Zeit“. Ausgerechnet Bismarck, dem jegliche Kontrolle der Regierung durch das Parlament ein Dorn im Auge war. Wir meinen dagegen, dass das Parlament dringend aus der Zuschauerrolle herauskommen muss. (…)

Der vollständige Gastbeitrag ist bereits am 20. Januar auf www.spiegel.de und am 21. Januar in der »Ostsee-Zeitung« erschienen.