Dietmar Bartsch: Bundestagsabgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen

30.10.2020 – Spätestens nach der Bundestagswahl sollten alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages in die gesetzliche Rente einzahlen. Das würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land stärken, insbesondere in Krisenzeiten. Bundestagsabgeordnete haben nach zwei Wahlperioden einen deutlich höheren Versorgungsanspruch als Arbeitnehmer, die 45 Jahre mit Durchschnittslohn gearbeitet haben. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, und diese Arbeitnehmer zahlen dann als Rentner mit ihren Steuern unsere Altersentschädigung? Das ist nicht gerecht, das ist nicht vermittelbar, das schadet dem Ansehen der Politik insgesamt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Großer Bruch jetzt in der Debatte. – Unser Antrag „Bundestagsabgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen“ soll ein Angebot sein – ein Angebot an Sie, an uns alle, vor allen Dingen ein Angebot für mehr Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik. Wir haben einen Vorschlag unterbreitet; der kann, der soll gerne veredelt werden. Aber das Grundziel ist: Spätestens nach der nächsten Bundestagswahl sollen alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages in die gesetzliche Rente einzahlen. Das ist unser Ziel.

(Beifall bei der LINKEN)

Das würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land, gerade in der Krise, wesentlich stärken.

Meine Damen und Herren, wir Abgeordneten haben nach zwei Wahlperioden einen deutlich höheren Versorgungsanspruch als Arbeitnehmer, die 45 Jahre zum Durchschnittslohn gearbeitet haben.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Arbeitnehmer bezahlen mit ihren Steuern, vielleicht auch mit den Steuern auf die Rente, dann auch unsere Altersentschädigung mit. Das ist nicht gerecht, das ist nicht vermittelbar, und das schadet dem Ansehen der Politik insgesamt.

Meine Damen und Herren, das, was wir in unserem Antrag vorschlagen, hat unser Nachbar Österreich in der Substanz bereits umgesetzt. Dort gibt es eine Rentenkasse, in die alle Bürgerinnen und Bürger einzahlen, auch Abgeordnete. Das ist dort selbstverständlich.

(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann machen Sie doch so einen Antrag!)

Ich meine, wir sollten uns das Rentensystem in Österreich einmal ganz genau anschauen; denn Österreich hat eine funktionierende Erwerbstätigenversicherung,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Jawohl!)

hat keinen Riester-Irrsinn, eine Rente ab 65 und nicht erst ab 67,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau!)

die im Durchschnitt 800 Euro höher ist,

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nach 15 Jahren!)

und dazu eine armutsfeste Grundrente. Das, meine Damen und Herren, wird auch dadurch ermöglicht, dass alle einzahlen.

(Beifall bei der LINKEN – Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ja, ich weiß, unser Antrag hat vor allen Dingen eine tiefe Symbolwirkung. Allein das Einbeziehen der Abgeordneten – –

Wie bitte?

Ja, immer gern.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Gib’s ihm, Markus!)

Herr Dr. Bartsch, es ist normalerweise nicht meine Art, eine Zwischenfrage vor dem Beitrag der eigenen Rednerin zu stellen; aber mir geht dann doch die Hutschnur hoch, wenn ich höre, was Sie hier sagen. Wenn Sie sagen, dass die Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung Ihr Ziel ist, warum stellen Sie dann nicht einen entsprechenden Antrag?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD und der FDP – Zurufe von der LINKEN)

Es ist auch das Ziel von Bündnis 90/Die Grünen, Abgeordnete – und zwar angemessen – in die gesetzliche Rentenversicherung mit einzubeziehen. Warum stellen Sie einen Antrag, der sich ausschließlich auf Abgeordnete bezieht, und täuschen vor, dass das ein Vertrauensangebot ist? Was Sie de facto tun, ist, auf das Erregungspotenzial draußen zu setzen,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?)

wo es dann heißt: Die da oben, die werden ja viel besser versorgt.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das stimmt ja auch!)

Unter dieser falschen Flagge erreichen Sie aber de facto eine Beschädigung dieses Parlaments, und das in einer Zeit, wo die Demokratie ohnehin unter Druck steht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was ist denn in dich gefahren?)

Das finde ich aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Ordnung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Sehr geehrter Herr Kurth, man merkt, dass Sie offensichtlich von dem, was wir hier vorschlagen, getroffen sind. Ich will ausdrücklich sagen – das ist auch nicht neu bei der Linken –: Selbstverständlich wollen wir, dass alle einbezahlen, selbstverständlich auch Beamte, auch Freiberufler. Das haben wir mehrfach beantragt. Selbstverständlich!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe es eben gerade gesagt – Sie haben sich ja schon gemeldet, da hatten Sie noch gar nicht bis zum Ende zugehört –: Natürlich geht es hier um ein Symbol. Das weiß ich doch auch. Dieser Antrag löst nicht das millionenfache Problem der Altersarmut. Das weiß ich sehr wohl. Aber jetzt zu sagen: „Na ja, das wollen wir nicht“? Nein, es ist das ausdrückliche Angebot: Tun Sie mit, dass wir diesen Schritt gehen! Wir haben hier im Deutschen Bundestag leider aktuell keine Mehrheiten, die es möglich machen, dass auch Beamtinnen und Beamte einzahlen, dass Selbstständige und auch Abgeordnete aller Ebenen einzahlen. Die haben wir leider nicht. Aber dass Sie, wenn es darum geht, diesen Schritt zu vollziehen und Vertrauen zurückzugewinnen, mit der Populismuskeule kommen,

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Weil er recht hat!)

zeigt, dass Sie offensichtlich ein bisschen traurig sind, dass Sie diesen Antrag nicht gestellt haben. Aber dafür kann ich nun leider nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will es wiederholen: Ja, natürlich, der Antrag löst nicht die Grundprobleme. Das ist doch unbestritten; das habe ich auch nicht behauptet. Ich habe gesagt und wiederhole das noch mal für Sie: ein Antrag mit Symbolwirkung. Aber es geht um das Signal an die Bürgerinnen und Bürger, das Signal an die Gesellschaft, dass wir alle uns darüber Gedanken machen. Es muss am Ende nicht unser Antrag umgesetzt werden. Bringen Sie Ihre ganze Kompetenz ein. Wir sind bereit, dort mitzumachen.

Aber eine Rentenkasse für alle, dieses Ziel haben wir als Linke, und das seit Langem.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)

Dafür sind wir schon im letzten Bundestagswahlkampf eingetreten. Tun Sie ruhig daran mit; das würde uns zumindest freuen. Wir müssen aufhören und Schluss machen mit dem Extrasystem für Abgeordnete. Das ist unser Ziel.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist eine vertrauensbildende Maßnahme.

Ansonsten, wenn wir es nicht tun, ist das ein Einfallstor für den Populismus, lieber Herr Kurth. Das ist das große Problem. Dass wir darüber hinaus eine große Rentenreform brauchen, ist unbestritten. Vielleicht können wir die ja in der nächsten Legislatur gemeinsam in Angriff nehmen.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nein! – Konstantin Kuhle [FDP]: Nee!)

Ich würde mich darüber freuen. Aber diesen einen Schritt können wir jetzt schon gehen. Darüber lassen Sie uns wirklich seriös debattieren, damit wir das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung wieder erhöhen.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)