Dietmar Bartsch: »Die Reihe der rassistischen Morde muss mit Hanau beendet sein«

05.03.2020 – Über 200 Menschen wurden von Rechtsextremen seit der Wiedervereinigung in Deutschland ermordet. Die Blutspur des Rechtsterrorismus zieht sich seit Jahrzehnten durch Deutschland. Das ist widerlich. Der Rechtsstaat muss entschlossen dagegen vorgehen. Der knallharte Wettbewerbsdruck hat der Gesellschaft den Stempel des „Jeder gegen Jeden“ aufgedrückt und den Zusammenhalt erodieren lassen. Wir müssen auch über das Klima reden, in dem Rechtsextremismus gedeiht. Wir brauchen Sicherheit durch Schutz und vor allem Umsteuern und Umdenken.

Herr Bundespräsident! Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein Problem in diesem Land, leider auch im Bundestag. Das Problem heißt: Rassismus. Alltagsrassismus auf der einen Seite und struktureller Rassismus auf der anderen Seite gehen dabei Hand in Hand.

Zehn Menschen wurden am 19. Februar in Hanau ermordet. Kurz darauf wurde über Fremdenfeindlichkeit, über Ausländerfeindlichkeit berichtet. Aber Ferhat, Mercedes, Sedat, Gökhan, Hamza, Kaloyan, Vili Viorel, Said und Fatih waren in Deutschland nicht fremd. Sie waren und sie bleiben ein Teil von Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Achten wir auf unsere Sprache. Damit beginnt es. Hören wir auf mit Begriffen wie „Fremdenfeindlichkeit“. Sie verharmlosen die Tat, und sie grenzen aus.

Über 200 Menschen wurden von Rechtsextremen seit der Wiedervereinigung in Deutschland ermordet. Die Blutspur des Rechtsterrorismus zieht sich seit Jahrzehnten durch Deutschland, und das ist widerlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Rechtsstaat muss entschlossen dagegen vorgehen. Viel zu lange wurde das Problem des rechten Terrors heruntergespielt. Noch heute geht einigen das Wort „Rechtsterrorismus“ nicht über die Lippen, ohne Linke im selben Atemzug zu erwähnen. Es war auch hier eine Peinlichkeit, Herr Hartwig,

(Beifall bei der LINKEN)

dieses unsägliche geschichtsvergessene Geschwätz von den Rändern. Die Gleichsetzung von rechts und links ist angesichts unserer Geschichte – nach NSU, nach dem Mordanschlag auf Henriette Reker, den Morden im Münchener Einkaufszentrum,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Mauertote haben Sie vergessen!)

nach dem Mord an Walter Lübcke, nach Halle und Hanau – eine Relativierung von Faschismus und der Gefahr, die von Nazis in unserem Land ausgeht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Sinne: Danke, Herr Brinkhaus. Danke, Herr Schäuble. Das ist ausdrücklich eine andere Akzentsetzung gewesen.

Über 200 Morde – alles Einzelfälle? Hören wir auf damit. Das ist gefährlicher Unsinn. Rechtsterror und Rechtsextremismus sind strukturelle Probleme. Werden sie nicht mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpft, breiten sie sich weiter aus. Jeden Tag werden in Deutschland Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Haarfarbe, ihrer Religion, ihres Namens bepöbelt und angegriffen, im Job diskriminiert oder gar nicht erst eingestellt, werden Moscheen mit Hakenkreuzen beschmiert und Synagogen rund um die Uhr bewacht. Was für ein trauriger Zustand!

Die Morde des NSU hätten jedem die Gefahr endgültig vor Augen führen müssen. Rechter Terror und rassistische Gewalt hätten Priorität Nummer eins der Sicherheitsbehörden werden müssen. Das geschah aber ausdrücklich nicht. Im Gegenteil: Die Debatten, auch in der Bundesregierung, waren komplett andere. Die Migration sei die Mutter aller Probleme, hieß es. Ich hoffe, dass auch beim Innenminister inzwischen die Erkenntnis gewachsen ist, Rassismus und Rechtsterror sind Väter vieler Probleme in unserem Land, meine Damen und Herren. Die Bundesregierung hat besondere Verantwortung, mäßigend auf Debatten einzuwirken,

(Beifall bei der LINKEN)

anstatt die Probleme anzuheizen.

Wer aber Zitate des ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, liest, der muss sich fragen, wie jemand, der Sympathien für rechte Parolen hegt, Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen konnte. Dass dieser Mann jahrelang den Verfassungsschutz leiten durfte, war ein schwerer Fehler der Innenminister der Union

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und im Übrigen über viele Jahre prägend. Klaus-Dieter Fritsche, Mitglied der CSU, inzwischen pensioniert, war Koordinator der Geheimdienste im Kanzleramt, Staatssekretär, Vizepräsident des Verfassungsschutzes. Aber anstatt in den Ruhestand zu gehen, ging er vom Kanzleramt direkt nach Wien als Berater des damaligen FPÖ-Innenministers Kickl. Der FPÖ, einer Bande mit Rechtsradikalen, sollte er auf die Sprünge helfen. Diese beiden Herren zeigen anschaulich das gefährliche Problem des strukturellen Rassismus. Anders als Björn Höcke sind sie keine Faschisten,

(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])

aber Sympathisanten rechter Politiker und ihrer Thesen, feine bürgerliche Herren, die die Tür für Rechtsradikale öffnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft ist spürbar rabiater, brutaler geworden. Wir haben ein vergiftetes Klima, wie der Bundestagspräsident gesagt hat. Der knallharte Wettbewerbsdruck hat der Gesellschaft den Stempel des „Jeder gegen jeden“ aufgedrückt und den Zusammenhalt erodieren lassen. Wir müssen auch über das Klima reden, in dem Rechtsextremismus gedeiht, ein Klima, in dem die Abwertung des anderen, des vermeintlich Fremden und angeblich Schwächeren sagbar und auch salonfähig geworden ist. Wenn in dieser Situation Faschisten Hass und Hetze verbreiten, wenn Shisha-Bars verunglimpft und bessere Renten für Deutsche gefordert werden, dann wird zusätzliches Gift in der Gesellschaft versprüht, das den Nährboden für solche Taten schafft.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen Sicherheit durch Schutz und vor allen Dingen Umsteuern und Umdenken, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Am Wochenende wurde Dietmar Hopp, bekanntermaßen Mäzen der TSG Hoffenheim, wieder einmal abscheulich verunglimpft. Es war ein starkes Zeichen, dass die Spieler und Verantwortlichen das nicht tatenlos akzeptiert haben. Aber als ein Spieler von Hertha BSC, Jordan Torunarigha, vor Kurzem im Stadion rassistisch beleidigt worden ist, gab es kaum Empörung von den Funktionären. Unser Fußballnationalspieler Antonio Rüdiger sagte jüngst: „Taten müssen folgen! Alles andere hilft nichts. Leute, die daneben sitzen, müssen endlich aufstehen …“.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Recht hat er.

Es muss sich einiges grundsätzlich ändern: bei den Behörden, in der Gesellschaft, hier im Parlament und auch in der Bundesregierung. So darf es nicht weitergehen; denn die Reihe der rassistischen Morde muss mit Hanau beendet sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)