Eine Zäsur in der Parteigeschichte

Am 27. September 1998 wurde der 14. Deutsche Bundestag gewählt. Die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), als parlamentarische Gruppe seit 1990 im Bundestag präsent, erreichte mit 5,1 Prozent der Zweitstimmen erstmals Fraktionsstärke und zog mit 36 Abgeordneten ins höchste deutsche Parlament ein. In den Jahren nach der Proklamation der deutschen Einheit führte die PDS zunächst einen zähen Überlebenskampf. Nach dem Willen der in Deutschland herrschenden Klasse und der etablierten politischen Parteien sollte für eine Organisation demokratischer Sozialistinnen und Sozialisten kein Platz im politischen System der Bundesrepublik sein. Die Mitglieder liefen der Partei in Scharen davon und in der Bevölkerung herrschte verständlicherweise viel Skepsis, ob die Abkehr vom Stalinismus glaubhaft und von Dauer sein würde. Vor allem durch ihr Engagement vor Ort gewannen die PDS-Mitglieder Schritt für Schritt Vertrauen, was nach und nach auch zu ansteigenden Wahlergebnissen in Kommunen, den ostdeutschen Ländern und im Bund führte.

Die Ereignisse vor zwanzig Jahren markieren eine Zäsur in der Geschichte der Partei. Parallel zur Bundestagswahl führten die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern zur ersten SPD-PDS-Landesregierung. 1999 zogen sechs PDS-Abgeordnete ins Europäische Parlament ein und die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung erhielt endlich Mittel aus dem Bundeshaushalt. Eine gewisse Normalisierung ging einher mit anhaltenden Angriffen auf die PDS, die ihrerseits nicht wenig Lehrgeld zahlen musste. Auf der Landesebene, in Mecklenburg-Vorpommern, ließ sich beispielsweise die in der Opposition gemachte Ankündigung, die Arbeitslosigkeit relevant zu senken, nicht realisieren. Der notwendige, letztlich jedoch ungenügend in Schwung kommende Westaufbau der Partei führte dazu, dass das Gespür für den Osten etwas verlorenging, wenngleich seinerzeit nur jeder sechste PDS-Bundestagsabgeordnete aus dem Westen kam. Hier und da trat Selbstzufriedenheit an die Stelle der Selbstironie der ersten Jahre. Letztlich schaffte die PDS bei der Bundestagswahl 2002 nicht den abermaligen Einzug als Fraktion. Es bedurfte in den Jahren danach eines neuen Aufbruchs, der 2007 zum Zusammenschluss der Parteien PDS und WASG zur Partei DIE LINKE führte.

Die Wahl vom September 1998 brachte noch ein Novum: die komplette Abwahl einer Bundesregierung, in diesem Falle der von Union und FDP. SPD und PDS legten zu, Bündnis 90 / DIE  GRÜNEN und FDP verloren leicht, die Union schmierte ab. Die Wechselstimmung nach schier endlosen Regierungsjahren von Helmut Kohl führte, begleitet von vielen Hoffnungen, zur Regierung von SPD und GRÜNEN unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Ein böses Erwachen sollte folgen. Nur wenige Wochen nach der Wahl trat Deutschland erstmalig nach 1945 in einen Krieg ein, den Jugoslawienkrieg. In den Jahren danach folgte ein bislang nicht dagewesener Sozialabbau, unter anderem mit  einer Senkung des gesetzlichen Rentenniveaus, der Installierung eines umfangreichen Niedriglohnsektors, den Hartz-Gesetzen und mächtigen Steuergeschenken an Banken und Konzerne.

Der 14. Deutsche Bundestag konstituierte sich am 26. Oktober 1998. Er wurde vom Alterspräsidenten Fred Gebhardt, Mitglied der PDS-Fraktion, eröffnet. Unter anderem sagte der über die hessische Landesliste gewählte Abgeordnete: „Als Angehöriger einer Familie, die während der Nazidiktatur verfolgt wurde, registriere ich mit großer Sorge den wachsenden Zulauf zu rechtsextremen Parteien, die wachsende Akzeptanz für deren verlogene Ideologie und Politik. Bei allem Streit, Kolleginnen und Kollegen, den wir untereinander führen werden, sollten wir einig sein in der Bekämpfung von nationalsozialistischem Größenwahn, von Rassismus und Antisemitismus. (…) Unter anderem deshalb hoffe ich sehr, daß der 14. Deutsche Bundestag Kraft findet, für Nichtdeutsche, die in unserer Gesellschaft leben, bessere Integrationsmöglichkeiten zu finden und Chancengleichheit herzustellen. Nur Menschen, die gleiche Rechte haben, werden auch als gleichwertig angesehen. Zu Recht haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes in Art. 1 die Würde aller Menschen – nicht nur der Deutschen – hervorgehoben.“ Er bekam dafür Beifall aus allen Fraktionen.