Husarenstücke mit und ohne Verpflegung

Von Landpartien war vor einer Woche an dieser Stelle die Rede. So lange ich nicht selbst am Steuer sitze, was ich zugegebenermaßen ganz gerne tue, ist das Auto für mich ein rollendes Büro. Aber viele Fahrten sind auch mit Erinnerungen verbunden.

Wann immer ich zum Beispiel über die imposante Rügenbrücke in Stralsund fahre, denke ich an eine Aktion im Morgengrauen des 4. Juli 2011. Da haben wir in luftiger Höhe ein fast 200 Quadratmeter großes Transparent an einen Pylon dieses Bauwerkes gehängt. „Ihnen einen schönen Urlaub! Der Kellnerin einen guten Lohn!“, war darauf zu lesen, dazu das Logo der LINKEN im Bundestag. Vielfach wurde diese Idee kopiert. Damals ging es uns um Aufmerksamkeit dafür, dass es keinen Mindestlohn gab. Trotz einiger Fortschritte ist unsere Forderung nach einem angemessenen Mindestlohn weiter aktuell, unter anderem eben in der Gastronomie und in der Hotellerie.

Husarenstücke wie das am Strelasund haben DIE LINKE und ihre Vorgängerin PDS vielerorts und seit langem praktiziert. In den 90er Jahren stiegen Mitglieder und Sympathisanten der Partei auf ein Hochhaus am Strausberger Platz in Berlin. Mit einem großen Spruchband erklärten sie, dass die in der DDR versuchte antikapitalistische und antifaschistische Alternative keiner Entschuldigung bedürfe. Ein anderes Mal erklommen mutige Kletterer den Turm der Elbebrücke bei Vockerode, um ein mächtiges Banner gegen die soziale Kahlschlagpolitik der von Gerhard Schröder geführten SPD-GRÜNEN-Bundesregierung anzubringen. In Frankfurt am Main besetzten Genossinnen und Genossen die Börse als Zeichen dafür, wie dringend es ist, dem Finanzkapital Einhalt zu gebieten.

Eine Aktion ist bis heute nahe der Abfahrt Neuruppin/Süd an der A24 zu sehen: Am Rest-Stamm eines Windrades ist in 18 Meter Höhe zu lesen: “PDS: Kein Bombodrom”, dazu Picassos Friedenstaube. Gemeinsam mit den Bürgerinitiativen FREIeHEIDe (Brandenburg) und Freier Himmel (Mecklenburg/Vorpommern) wurden so durch unsere Partei die Pläne der Bundesregierung angeprangert, in einer sich entwickelnden Tourismusregion einen der größten Übungsplätze für Tiefflüge in Europa zu installieren.

Um die Protest- und Widerstandsaktionen ranken sich jede Menge Episoden. Als Signal gegen den Abriss des Palastes der Republik wurde Gregor Gysi per Kran auf das Dach desselben befördert. Dumm nur, dass der Kranfahrer dann kalte Füße bekam und samt Gerät das Weite suchte. Nach geraumer Zeit holten Polizei und Feuerwehr Gregor vom Dach. Er selbst schrieb darüber in seinen Erinnerungen: „Wahrscheinlich dachten sie sich, dass solche Rettungsaktionen meist nur bei Hauskatzen nötig sind, die sich in Dachrinnen verirrt haben.“ Ein anderes Vorhaben drohte an der Vorbereitung zu scheitern. Linke Politiker wollten sich anketten und staunten nicht schlecht, als diejenige, die die Ketten besorgen sollte, mit einer winzigen Handtasche am Tatort erschien. Natürlich habe sie Fesseln dabei, erklärte die Überbringerin, und holte ein paar Kettchen hervor, mit denen sonst Stöpsel in Badewannen angeleint werden – „andere gab es im Baumarkt nicht…“

Unser Ziel war es stets, auf ungewöhnliche Weise Aufmerksamkeit und Sympathie für unsere politischen Forderungen zu erreichen. Das ist in der Regel gelungen. Einmal fragte uns der Besitzer eines von uns besetzten Objektes ein paar Tage später, ob er vielleicht Anzeige gegen uns erstatten solle, das brächte doch gewiss noch einmal eine gute Presse.

Häufiger Ideengeber der Aktionen war André Brie, mein Genosse aus dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern. Er verstand es meisterhaft, strategisches Denken mit einer wirksamen Öffentlichkeitsarbeit zu verbinden. André war auch bei der wohl spektakulärsten Aktion mit von der Partie. Ausgangspunkt war eine völlig absurde Steuernachforderung des Berliner Finanzamtes über 67 Millionen DM gegenüber der PDS. Das hätte das Ende der Partei bedeutet. Wir entschlossen uns zum Äußersten, verbunden mit einem ungewöhnliche Theaterbesuch: Am 2. Dezember 1994 gegen 4.30 Uhr in der Frühe zog ein kleiner Trupp vom Berliner Karl-Liebknecht-Haus, der PDS-Parteizentrale, zur gegenüberliegenden Volksbühne. Intendant Frank Castorf selbst schloss uns Gästen sein Haus auf. Wir schlugen Feldbetten auf, campierten fortan im Musentempel, gaben Pressekonferenzen und sahen uns gelegentlich von der letzten Reihe des Balkons aus Inszenierungen des Hauses an. Die merkwürdigen Theatergänger waren Lothar Bisky, André Brie, Gregor Gysi, Hanno Harnisch, Michael Schumann, Heinz Vietze und ich. Wir befanden uns im Hungerstreik gegen die Absicht, die Partei des Demokratischen Sozialismus abzuwürgen. Nach acht Tagen hatten wir Erfolg.

Der Hungerstreik warf natürlich die Frage auf, ob es gerechtfertigt ist, für eine Partei seine Gesundheit, gar das Leben auf’s Spiel zu setzen. Lothar Bisky hat sie damals so beantwortet: Die PDS sei für ihn „nicht nur Partei, sondern ein Stück linker Kultur, ein Stück vorweggenommener sozialer Gerechtigkeit, ein Stück solidarischer Umgang miteinander; wenn man so will, ein Stück antizipierter demokratischer Sozialismus“, für den er streite.

Ich denke, in einer aus den Fugen geratenen Welt und angesichts einer Regierungskoalition der Verlierer der jüngsten Bundestagswahl stünden der LINKEN auch künftig ein paar freche Aktionen gut zu Gesicht. Gerne auch mit Verpflegung