Die Fußball-Merksätze stimmen nicht mehr

Ich muss gestehen, ich bin von dieser WM ziemlich begeistert. Die Welt rückt was das sportliche Leistungsvermögen anbelangt, enger zusammen. Wenigstens im Fußball. Noch nie gab es derart viele WM-Favoriten, die so früh ausschieden und vermeintlich schwächere Mannschaften, die über sich hinauswuchsen. Nicht die Einzelkönner und Fußballheiligen waren die Entscheidenden, sondern Mannschaften mit echtem Teamgeist. Nicht zuletzt bin ich zufrieden, weil ich mit meinem WM-Tipp – vor dem ersten Spiel abgegeben – Frankreich gut im Rennen liege. Sie waren bisher die effektivste und stabilste Mannschaft des Turniers.

Es scheint mir zudem durchaus unaufgeregter zur Sache zu gehen als bei anderen Turnieren. Es gab bisher keine großen Spuck,- Beiß,- Foul,- Kopfstoß,- Doping,- oder Hand-Gottes-Skandale wie bei anderen WM-Endrunden. Das ist auch gut so. Einer der größeren Aufreger bisher war die  Strafe von über 60.000 Euro für die Kroaten, weil sie den falschen Pausentee dabei hatten. Das ist die zweithöchste Einzelstrafe für ein Team während einer Endrunde. Zum Vergleich, für das Zeigen eines rechten Banners zahlt man 8608 Euro, wie nach dem Spiel Russland gegen Uruguay geschehen. Da stimmen bei einigen die Relationen nicht. Es wurden doch tatsächlich die Sponsoren verärgert. Wollten die etwa den Fußball-Kapitalismus kaputt trinken? Das kann sich die FIFA natürlich nicht bieten lassen. Wer hätte eigentlich gedacht, dass ein Land wie Kroatien mit etwas mehr als 4 Millionen Einwohnern in ein WM-Finale vordringen würde? Das finde ich sportlich bemerkenswert.

Bemerkenswert fand ich noch etwas anderes. Das war die zunehmende Schauspielerei auf dem Platz. Furchtbar und nervend. Ich kann nach den letzten Wochen im Bundestag manche Parallele ziehen. Der brasilianische „Wunderstürmer“ Neymar muss offensichtlich in die Horst-Seehofer-Schauspielschule für Ausdrucks-Umfallen und angewandtes Mimimi gegangen sein. Da reibt man sich verwundert die Augen und staunt. „Mir hat jemand auf den Fuß getreten, ich äh, trete zurück. Oh, nein, doch nicht.“ Immer mit großem Drama. Immerhin ist Neymar ein begnadeter Techniker, der manches Spiel entschieden hat. Der Innenminister erinnert mich dagegen eher an einen Libero ganz, ganz alter Schule. Ordentlich von hinten rausbolzen, das Spielgerät hat eine ganz weite Streuung, aber irgendwo kommt der schon an. Oder auch nicht und der Ball landet beim Gegenspieler. Schuld sind dann natürlich immer die anderen. Da lobe ich mir eine Spielerpersönlichkeit wie Andrés Iniesta. Ein unaufgeregter, intelligenter Spieler, der nach dieser WM leider die große Bühne verlassen wird. Ihm habe ich immer gern zugesehen. Schade.

Ein ernstes Thema zum Schluss. Die deutsche Mannschaft ist dem Weltmeisterfluch erlegen. Oder Mesut Özil, wenn man dem Boulevard oder Oliver Bierhoff glauben möchte. Ich möchte nicht, denn das ist ein ganz und gar durchsichtiges Manöver, vom eigenen Versagen abzulenken und stattdessen einen verdienten Spieler, den ich zwar nie so hoch eingeschätzt habe, zum Sündenbock zu stempeln. Hier sollte es ein höheres Maß an Respekt und Professionalität geben. Der beliebte Spruch, „das läuft ja wie ein Länderspiel“ muss nun wohl in „läuft wie 13 Jahre Merkel“ umgeschrieben werden. Man hätte auch gewarnt sein können. #ZSMMN, der twitter-hashtag der deutschen Mannschaft erinnerte an den Unsinn, den sich die CDU zur Bundestagswahl 2017 ausgedacht hatte. Unter #fedidwgugl verbarg sich: Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben. Donnerwetter! Darauf muss man erst mal kommen, bei den Wahlverlierern 2017 abzugucken. Ich bin gespannt, wie die Beteiligten das Ruder herumreißen wollen. Ich sage das ohne Häme, weil ich mir einen ansehnlichen Fußball vom deutschen Team wünsche.

Was bleibt vor dem Finale am Sonntag noch festzuhalten?

  1. Frankreich gewinnt. (Da bleibe ich fest) Auch, weil Kanté und Griezmann, die als Jugendspieler wegen zu geringer Körpergröße in Nachwuchsförderzentren größerer Vereine abgelehnt worden sind, über sich hinauswachsen werden.
  1. Kroatien hat ein sensationelles Turnier gespielt, weil sie wirklich eine Mannschaft waren.
  1. Cristiano Ronaldo wechselt nach dem Turnier als 33-jähriger für 100 Millionen den Verein. Alter ist also relativ. Das ist gut. Vielleicht bewerbe ich mich doch nochmal um ein Probetraining. Sein Jahresgehalt ist und bleibt krank. Da bin ich für Obergrenzen.
  1. Christoph Kramer ist mein heimlicher Star der WM-Berichterstattung. Kein Wunder bei einem, der Union-Legende Torsten Mattuschka zum persönlichen Lieblingsspieler erklärt hat. Sympathisch.
  1. Bei all den sportlichen Höhepunkten darf  die Weste von Gareth Southgate nicht vergessen werden.