»Frau Merkel, schicken Sie die CSU in ihr Herkunftsland zurück!«

In der jetzigen Situation ist eine Politik gefordert, die sich durch Gradlinigkeit, Entschlossenheit und Sachlichkeit auszeichnet und nicht bestimmt wird von Stimmungsschwankungen oder Stammtischen.
Wir brauchen ein anderes Agieren! Wirksame Maßnahmen zur Integration und zur Bekämpfung von Fluchtursachen – das darf nicht nur eine Überschrift bleiben. 

Rede in der 156. Sitzung des Bundestages bei der ersten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (Asylpaket II) 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kauder hat in dieser Woche nach der Regierungserklärung festgestellt:

Das Jahr 2016 wird zu einem Schicksalsjahr für Europa und damit auch zu einem Schicksalsjahr für unser Land. Im Jahr 2016 entscheidet sich wie noch in keinem … Jahr zuvor, ob die Europäische Union in Zukunft in der Lage ist, große Herausforderungen zu bewältigen …

Ich glaube, angesichts der vielen Krisen – die Euro-Krise, das Erstarken nationalistischer Bewegungen und insbesondere die Herausforderungen durch die Flüchtenden – hat Herr Kauder hier recht.

(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Wie meistens!)

Diese Herausforderungen – das ist auch völlig klar – sind alles andere als leicht, und nicht auf alle Fragen wissen wir hier die besten Antworten. Eine Aufgabe sollte für uns alle aber klar sein: Keinesfalls dürfen wir das vielfältige, ungebrochene Engagement – Herr de Maizière hat von „Tatendrang“ gesprochen – der Tausenden durch Entscheidungen des Deutschen Bundestages in irgendeiner Weise konterkarieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Engagement der Ehrenamtlichen und auch der Menschen in Behörden müssen und sollten wir unterstützen.

In dieser Situation ist eine Politik gefordert, die sich durch Gradlinigkeit, Entschlossenheit und Sachlichkeit auszeichnet und nicht von Stimmungsschwankungen oder Stammtischen bestimmt wird. Von der Erfüllung genau dieser Anforderung ist die Bundesregierung meilenweit entfernt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In großer Hektik taumeln Sie mit Ihrer Politik durch das Land und beschließen Sie ein Asylpaket nach dem anderen. Heute erfolgt die Erste Lesung des zweiten Asylpakets, welches in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit ganz schnell vorgelegt worden ist. Das erste ist bereits beschlossen, das dritte und das vierte werden folgen. Nahezu wöchentlich gibt es von der Bundesregierung neue Ideen und Vorschläge. Chaos in der Bundesregierung!

(Volkmar Klein (CDU/CSU): Von euch kommt nichts!)

Sie produzieren damit Zweifel und Ängste, und das ist der Nährboden für rechtspopulistische Kräfte.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Offensichtlich ist einigen die humanistische Haltung abhandengekommen. Ich will das einmal konkret für das Asylpaket II darstellen: Im November haben die Vorsitzenden Merkel, Seehofer und Gabriel etwas beschlossen. Dem Vizekanzler musste dann dreimal gesagt werden, was er beschlossen hat. Danach gab es 27 verschiedene Pirouetten. Am Ende liegt nun mehr oder weniger unverändert das auf dem Tisch, was im November behandelt worden ist, und auf einmal muss es diese wahnsinnige Geschwindigkeit geben. Aus der SPD wurde zehnmal „Nein“ gerufen, und am Ende haben Sie „Ja“ gesagt. Das ist so nicht zu akzeptieren.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!)

Bei all diesem Chaos gibt es dann noch die besondere Partei CSU, deren Vorsitzender von „Herrschaft des Unrechts“ spricht, Ultimaten stellt und mit dem Bundesverfassungsgericht droht. Das alles ist doch bundespolitischer Wahnsinn!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Offenbar haben in der CSU einige nicht begriffen, dass es ein Grundrecht auf Asyl gibt.

Frau Merkel, obwohl Sie jetzt nicht hier sind, fordere ich Sie auf: Schicken Sie die CSU in ihr Herkunftsland zurück!

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, wir haben genug von denen! Wir brauchen die auch nicht!)

– Toni, du musst da durch. Ich weiß, das ist hart für dich.

(Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, das lehnen wir rundweg ab! Wir machen die Grenze dicht!)

Meine Damen und Herren, für uns alle muss der Satz gelten: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Dieser Satz sollte für uns alle und immer gelten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber mit dem Asylpaket II bewegen Sie sich davon weit weg. Herr de Maizière, das stimmt eben nicht, dass Sie Probleme lösen. Die wirklichen Lösungen wären schnelle Integration und Teilhabe, rechtsstaatliche und zügige Verfahren. Ja, tun Sie das! Aber nehmen Sie vor allen Dingen auch eine Korrektur der Fehlentwicklungen beim Wohnungsbau, im Bildungswesen usw. und insbesondere bei der Finanzierung vor. Ihr Petitum ist: Verschärfung, Verschärfung, Verschärfung. Das kann nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Ergebnis wird sein, dass wir unzählige Rechtsstreitverfahren produzieren, dass Behörden und Gerichte zusätzlich belastet werden – von den Belastungen der betroffenen Menschen einmal ganz zu schweigen.

Ganz konkret wollen Sie handeln, indem Sie die Zuzugsbeschränkungen für Familienangehörige, sprich: für Angehörige der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, verschärfen. Nach unserer Auffassung ist das rechtswidrig. Aber vor allen Dingen ist das doch unchristlich, und es ist auch unmoralisch.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Sie haben von Respekt gesprochen. Was ist denn aus der Familienpartei CDU und aus der Familienpartei CSU geworden, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Wenn wir von den Linken christliche Belehrungen bekommen, wird es immer spannend!)

Und wo ist der Aufschrei von der SPD geblieben?

(Dr. Eva Högl (SPD): Den hat es ja wohl gegeben!)

Ich vermute, dass jeder hier im Haus schon mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gesprochen hat. Auch ich habe das unlängst in Dargelütz, einem kleinen Dorf in meinem Wahlkreis, gemacht. Das sind erschütternde Gespräche. Da gibt es einerseits Zufriedenheit, dass die Menschen hier sein können, aber andererseits eben auch ganz viele Tränen. Da frage ich mich: Was war denn da in den Kabinettssitzungen? Offensichtlich haben die SPD-Minister zuerst gepennt und dann doch der inhumanen Regelung der CDU/CSU zugestimmt. Härtefälle, Herr de Maizière? Jedes Flüchtlingskind in Deutschland, das auf seine Eltern wartet, ist ein humanitärer Härtefall und nichts anderes.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Verweigerung des Flüchtlingsnachzugs bleibt grundgesetz- und menschenrechtswidrig.

Ein besonderer Skandal ist der Umgang mit kranken Flüchtlingen. Das ist eine Schande und unseres Rechtsstaates unwürdig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Künftig soll, ungeachtet der Gefahren für Leib und Leben, abgeschoben werden, wenn ein ärztliches Attest nicht unverzüglich vorgelegt wurde.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Das ist allein objektiv an vielen Stellen schlicht unmöglich. Aber noch schlimmer: Fachliche Gutachten und Stellungnahmen von Psychologinnen und Psychologen über vorliegende Traumatisierungen sollen im Gegensatz zu ärztlichen Attests überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden. Ja, im Gesetz steht künftig eine Regelvermutung, nämlich dass keine gesundheitsbedingten Abschiebungshindernisse vorliegen.

Die Verschärfungen sind ein in Paragrafen gegossenes, pauschales behördliches Misstrauen, sowohl gegen die erkrankten und traumatisierten Flüchtlinge als auch im Übrigen gegen die behandelnden Ärzte. Hierfür gibt es überhaupt keine Rechtfertigung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Alle Studien zeigen, dass 40 Prozent der Asylsuchenden Opfer traumatischer Erlebnisse wurden. Wenn wir in die Länder schauen, zum Beispiel nach Syrien, werden die Gründe dafür doch deutlich sichtbar.

Lassen Sie mich – obwohl ich weiß, dass das heute hier nicht behandelt wird – noch eine Bemerkung zu den sicheren Herkunftsstaaten machen. Es ist doch sehr bezeichnend, dass Sie dieses Thema jetzt hier ausklammern und warten wollen, bis es vielleicht wieder einen grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg gibt.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ja nicht schlecht wäre!)

– Es gibt schlechtere Varianten; sagen wir es einmal so.

(Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Beste, was dem Land passieren kann! – Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hätten Sie gerne jemanden von der CSU?)

Meine lieben grünen Kolleginnen und Kollegen, ich finde es trotzdem inakzeptabel, so zu tun, als ob eine Altfallregelung das aufwiegen könnte. Das geht überhaupt nicht. Entweder man hat eine Haltung, oder man hat keine Haltung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Machen Sie sich um unsere Haltung mal keine Sorgen!)

Die drei Länder, um die es geht, sind nun einmal keine sicheren Herkunftsländer. In allen dreien gibt es die Todesstrafe. In Marokko und Algerien steht Homosexualität unter Strafe. Schwule und Lesben kommen vor Gericht und müssen sogar ins Gefängnis. Diskriminierung ist in diesen Ländern Gesetz. Ich würde sogar die These wagen, dass das verfassungswidrig sein könnte.

Meine Damen und Herren, wir brauchen ein anderes Agieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass in unserem Land die Schwachen gegen die Schwächsten ausgespielt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wirksame Maßnahmen zur Integration und Bekämpfung von Fluchtursachen, das darf nicht nur eine Überschrift bleiben. Eine soziale Offensive, mit der wir die Zukunft in diesem Land gestalten, wäre notwendig. In diese Richtung sollten Sie handeln, statt hier falsche Aktivitäten vorzugaukeln.

Deshalb werden wir als Linke diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)