De Maizierès Etat behindert vernünftige Asyl- und Flüchtlingspolitik

Die Bundesregierung greift den Geist der Rede von Dr. Navid Kermani zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes nicht auf. Ihre falsche Haushaltspolitik im Bereich Inneres gefährdet notwendiges politisches Handeln.

Rede zur Beratung des Einzelplans 06/Bundesministerium des Innern innerhalb der Beratungen zum Bundeshaushaltsgesetz 2014 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Etat des Bundesministeriums des Innern leidet in besonderer Weise unter dem Heiligtum der schwarzen Null von Wolfgang Schäuble. Der Etat ist wenig programmlastig, aber sehr personal- und sachlastig. Deswegen fällt es in besonderer Weise schwer, globale Minderausgaben auszuweisen. Da der Innenminister sehr loyal ist, treten hier sehr viele Probleme auf. Die Haushaltspolitik wird hier zu einer innenpolitischen Gefahr.

Das Gute ist, dass wir, sowohl die regierungstragenden Fraktionen als auch die Opposition, während der Haushaltsberatungen noch viele vernünftige Dinge durchsetzen und in diesem Etat einen Aufwuchs realisieren konnten. Ich will einige positive Punkte ausdrücklich nennen.

(Beifall des Abg. Martin Gerster (SPD))

Wir haben zum Beispiel die Mittel für die Stiftung für das sorbische Volk um 500 000 Euro aufstocken können. Das ist eine sehr vernünftige Entscheidung, sie erfolgte in Zusammenarbeit mit den Landesregierungen von Sachsen und Brandenburg.

Wir haben beim THW in den Etatberatungen einen deutlichen Schritt nach vorne gehen können. Das Technische Hilfswerk bekommt zusätzliche Mittel für die Ortsverbände, für Ausbildung und für Fahrzeuge. Das ist eine vernünftige Entscheidung.

Ich will zum Bereich der Integration positiv erwähnen ‑ ich komme noch darauf zurück ‑, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 300 zusätzliche Stellen bekommen hat. Auch das ist unzweifelhaft eine vernünftige Entscheidung.

(Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Deshalb stimmen Sie dem Etat zu!)

Trotzdem ist der Etat an wichtigen Stellen chronisch unterfinanziert, meine Damen und Herren. Ich will auf einige Punkte eingehen. Nehmen wir eines der größten Probleme, vor denen wir insgesamt in Deutschland und Europa stehen: die weltweiten Flüchtlingsströme aus Syrien und dem Mittelmeerraum. Wir alle kennen die Probleme. Der politisch verantwortungsvolle und humanitäre Umgang mit den Sorgen und Nöten dieser inzwischen Millionen Flüchtlinge ist eine Riesenherausforderung. Ich erinnere an die beeindruckende Rede ‑ jedenfalls hat sie mich beeindruckt ‑ von Navid Kermani anlässlich des 65. Jahrestages des deutschen Grundgesetzes. Er hat uns allen ins Stammbuch geschrieben:

Deutschland … hat genügend Ressourcen, politisch Verfolgte zu schützen, statt die Verantwortung auf die sogenannte Drittstaaten abzuwälzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und es sollte aus wohlverstandenem Eigeninteresse anderen Menschen eine faire Chance geben, sich um die Einwanderung legal zu bewerben, damit sie nicht auf das Asylrecht zurückgreifen müssen.

Deshalb kritisieren wir scharf, dass Sie haushaltspolitisch für diesen Ansatz keine Grundlagen schaffen, meine Damen und Herren. Es ist viel mehr notwendig. Ich will nur einen Punkt nennen. In Ihrem eigenen Koalitionsvertrag versprechen Sie, „mit besonderem Vorrang … die Verkürzung der Bearbeitungsdauer bei den Asylverfahren“ realisieren zu wollen. „Die Verfahrensdauer bis zum Erstentscheid soll drei Monate nicht übersteigen.“ Die reale Situation ist aber eine Verfahrensdauer von derzeit sieben Monaten. Es deutet überhaupt nichts darauf hin, dass diese Zeitspanne kürzer wird. Da muss doch viel mehr geschehen. Da müssen Sie in haushaltspolitischer Hinsicht mehr einstellen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe tun Sie viel zu wenig in diesem Haushalt.

(Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): 300 neue Stellen!)

Sie haben im Haushalt zudem keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, um Ihr Versprechen einzulösen. Stattdessen verringern Sie die Zahl der Antragsverfahren, indem Sie die Liste der sicheren Herkunftsländer vergrößern.

(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Auch das verkürzt die Verfahren! Das ist ein Beitrag zur Verfahrensverkürzung!)

Das ist nicht im Geist der Rede von Kermani.

(Beifall bei der LINKEN)

In Jordanien und in anderen armen Ländern suchen Hunderttausende Menschen Schutz und Geborgenheit. Deutschland verweist auf 10 000 Flüchtlinge aus Syrien. Die Aufnahme von 10 000 Flüchtlingen ist gut, aber letztlich zu wenig. Wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht auf andere europäische Länder zeigen, wenn sie noch schlechter sind als wir. Das ist der falsche Weg. Der Bundesminister hat im Berichterstattergespräch darauf verwiesen, dass die Risiken, die sich zum Beispiel aus der aktuellen Verschärfung der Lage in der Ukraine ergeben, im Haushalt in keiner Weise abgebildet sind. Deswegen: Hier muss mehr geschehen. Was geschehen ist, ist nicht ausreichend. Es gibt keine Strategie. Was ist die Strategie der Bundesregierung angesichts wachsender internationaler Flüchtlingsströme? Wann, bitte, wollen Sie mit einer verantwortungsvollen und vorausschauenden Haushaltspolitik in Ihrem Etat beginnen?

(Beifall bei der LINKEN – Oswin Veith (CDU/CSU): Wir sind längst dabei!)

Zum Thema Integration. Auch hier will ich zugestehen, dass während der Haushaltsberatungen Positives geschehen ist, keine Frage. Die Kollegen Berichterstatter haben einen Beitrag geleistet. Aber hier verhält es sich ähnlich: 2013 gab es über 117 000 Teilnehmer in den Integrationskursen. Das BMI kalkuliert 2014 und 2015 mit jeweils 140 000 Teilnehmern. Aber die notwendigen Mittel werden auch hier durch die Globalen Minderausgaben nicht eingestellt. Überhaupt nicht berücksichtigt sind Mittel für die freiwillige Teilnahme an solchen Kursen. Trotzdem hat der Innenminister dem Regierungsentwurf zugestimmt. Das ist letztlich unverantwortlich, weil die entsprechenden Etats unterfinanziert sind. Sie stellen sich nicht auf die Herausforderungen der Asylbewerberpolitik und der Integrationspolitik ein.

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen, der die Menschen in diesem Land sehr bewegt. Das ist das große Thema NSA. Hier ist ausspioniert und abgehört worden. Wir kennen die ganze Geschichte: Herr Friedrich fährt nach Amerika, und Herr Pofalla erklärt das Ganze für beendet. Dieser Skandal spiegelt sich überhaupt nicht wider. Es geht nicht nur um das Handy der Kanzlerin; das ist doch albern. Vielmehr geht es um Industriespionage, das Ausspionieren von Krankenakten und Forschungseinrichtungen; das ist doch der entscheidende Punkt. Dazu sage ich ganz klar und deutlich: Da kann man nicht, wie die Kanzlerin sagt, auf die Kraft der Argumente setzen. Nein, da muss Flagge gezeigt werden. Da muss man zum Beispiel die Verhandlungen über das TTIP aussetzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Da muss man vielleicht Personal aus den Botschaften nach Hause schicken. Das wäre der richtige Ansatz. Die NSA steht in einer unsäglichen Tradition. In dieser Woche ist bekannt geworden, dass die Westalliierten die Post aus der DDR bis 1989 durchgängig ausspioniert haben; das ist ein Skandal sondergleichen. Das wird faktisch einfach fortgesetzt. Sie müssen dafür sorgen, dass die Bundesrepublik souverän handelt. Die Souveränität ist aktuell im Zusammenhang mit der NSA nicht hergestellt. Das ist ein Riesenproblem.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen, der mir sehr wichtig ist. In den Medien wird hin und wieder die Arbeit von Stiftungen als parteinah diffamiert. Angesichts der riesigen Herausforderungen, vor denen wir in bildungspolitischer und meinungspolitischer Hinsicht stehen, sollten wir gemeinsam die Stiftungen, von der Hanns-Seidel-Stiftung bis hin zur Rosa-Luxemburg-Stiftung, ausdrücklich würdigen. Was diese angesichts der großen Herausforderungen leisten, finde ich wirklich beachtenswert. Wir alle wollen informierte, kluge und politisch engagierte Bürgerinnen und Bürger. Deswegen sollten wir alle gemeinsam sagen: Jawohl, wir stehen zu den Mitteln für diese Stiftungen. Wir müssen keine verschämten Entscheidungen treffen. Wir wollen gemeinsam, dass die Stiftungen ihre Aufgaben sowohl im Ausland als auch im Inland weiterhin erfüllen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Insgesamt kann ich nur feststellen: Leider wird der Haushalt den Anforderungen, vor denen wir stehen, in keiner Weise gerecht. Ich kann das Ziel der schwarzen Null verstehen. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir in diesem Etat notwendige Aufgaben nicht mehr realisieren. Sonst gefährden wir letztlich die Menschen in unserem Land und viele, die zu uns kommen wollen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)