Praxisgebühr abschaffen!

Rede in der Debatte des Deutschen Bundestages zu den Anträgen von LINKE, SPD und Grünen zur Abschaffung der Praxisgebühr


DIE LINKE lehnte die Praxisgebühr von Anfang an ab. Diese Gebühr war Teil eines Gesetzespaketes von Rot-Grün, das 2004 mit Zustimmung von CDU/CSU beschlossen wurde. Der Erkenntniszuwachs der SPD ist gut. Aber die Speerspitze bei der Abschaffung der Praxisgebühr ist die SPD nicht.

Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Singhammer, mich hat gewundert, dass Sie allen hier unterstellen, dass es ihnen nur um Taktik geht. Was glauben Sie eigentlich, was die Leute, die uns hier zuhören, denken? Einigen von ihnen, die vielleicht heute noch die Praxisgebühr zahlen müssen, fällt es vielleicht wirklich schwer, sie zu bezahlen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): 52 Prozent sind befreit! Reden Sie doch nicht so einen Schwachsinn!)

Lassen Sie uns doch einmal über die Sache sprechen, darüber, worum es hier geht, über die Anträge der Opposition. Lassen Sie uns beleuchten, ob die Abschaffung der Praxisgebühr machbar ist oder ob das nicht machbar ist. Die Linke hat schon vor längerer Zeit einen solchen Antrag gestellt.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Richtig!)

Sie haben im Ausschuss verhindert, dass dieser Antrag auf die Tagesordnung gekommen ist.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Genau so ist es!)

In diesem Sinne: Lieber Karl Lauterbach, die Linke hat damals ein ehrliches Angebot unterbreitet, dem die SPD hätte zustimmen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Eines ist doch ganz klar: Die Praxisgebühr ist unsozial, die Praxisgebühr ist überflüssig, und die Praxisgebühr gefährdet letztlich die Gesundheit. Wir haben schon bei der Einführung gesagt, dass wir dagegen sind. Seit langem versuchen wir, die Praxisgebühr abzuschaffen. Jetzt gibt es einen großen Wettlauf: Die Grünen sind für die Abschaffung. Die Sozialdemokraten sind für die Abschaffung. Heute habe ich gelesen, dass das rot-grüne Nordrhein-Westfalen die Abschaffung im Bundesrat beantragen will. Die FDP ist für die Abschaffung der Praxisgebühr. Selbst bei der Union gibt es viele, die die Praxisgebühr abschaffen wollen. Eigentlich könnten wir heute ruhig abstimmen und die Praxisgebühr schlicht abschaffen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Schauen Sie, es ist doch so: Auf der Gesundheitsministerkonferenz haben sich elf Länder dafür ausgesprochen, dass die Praxisgebühr abgeschafft wird. Das schwarz-gelb regierte Hessen ist dafür. Das zeigt doch ganz klar: Das sollten wir machen. Warum machen wir das nicht? Aus einem Grund: Im Koalitionsausschuss da wird wie auf einem Basar oder bei einem Kuhhandel verhandelt steht die Praxisgebühr mit auf der Tagesordnung. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wie wollen Sie den Menschen erklären, dass das die Politik hier im Bundestag ist?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will aber auch daran erinnern das ist schon gesagt worden; das sollten wir alle nicht vergessen , wann die Praxisgebühr eingeführt worden ist. Das war 2004. Das hat Rot-Grün im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes gemacht, mit Zustimmung der CDU/CSU. Das war im Rahmen der Agenda 2010. Es ging darum, die Lohnnebenkosten zu senken, die Krankenversicherungsbeiträge zu senken und eine Steuerungswirkung zu entfalten. Die Praxisgebühr war Teil eines Pakets.

Ich will den Anlass nutzen, um zu sagen, was alles damals von Rot-Grün beschlossen worden ist. Es wurden ja nicht nur die 10 Euro pro Quartal beschlossen. Es wurden eine Zuzahlung von 10 Prozent zu Arznei- und Hilfsmitteln und bei einem Krankenhausaufenthalt an den ersten 28 Tagen 10 Euro pro Tag beschlossen. Es ist beschlossen worden, dass die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und die Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung komplett von den Patientinnen und Patienten getragen werden müssen. Das Entbindungs- und das Sterbegeld sind gestrichen worden. Die Belastungsobergrenze für Zuzahlungen ist auf 2 Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens erhöht worden. Das alles ist damals von Rot-Grün im Rahmen der Agenda 2010 zulasten der Patientinnen und Patienten beschlossen worden.

Die Praxisgebühr – das ist sonnenklar; ich glaube, da gibt es Konsens hier im Haus – hat ihre Ziele nicht erreicht. Die Steuerungswirkung ist nicht eingetreten. Wir können feststellen, dass es insgesamt nicht weniger Arztbesuche gibt. Es gibt sogar mehr Arztbesuche. Aber einige Versicherte verzichten deswegen auf Arztbesuche. Das sind nicht wir Bundestagsabgeordnete und andere Gutverdienende. Wer verzichtet darauf? Die Geringverdienenden sowie Rentnerinnen und Rentner.

(Jens Spahn (CDU/CSU): Das ist doch Quatsch!)

Der Verzicht auf Arztbesuche führt zur Verschleppung von Krankheiten und hat negative Folgen für die Gesundheit. Letztlich führt dies sogar zu Zusatzkosten. Einige Versicherte gehen oft zum Arzt, aber gerade die sozial Schwächeren verzichten auf Arztbesuche.

(Jens Spahn (CDU/CSU): Die sind alle befreit!)

Dazu kommt der bürokratische Aufwand; das wissen wir alle. Auch die FDP weist darauf hin. Die Bürokratiekosten für Arztpraxen betragen 360 Millionen Euro. Dieses Geld steht für die Patientinnen und Patienten letztlich nicht zur Verfügung. Die zusätzlichen Einnahmen betragen nicht 8 Milliarden Euro. Es sind nicht einmal 2 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn man diese Einnahmen einmal in Relation zu den Einnahmen des Gesundheitsfonds betrachtet – diese liegen bei ungefähr 180, 190 Milliarden Euro -, dann sieht man, dass sie circa 1 Prozent der Einnahmen des Gesundheitsfonds ausmachen. Das hat die Praxisgebühr eingebracht.

Noch einmal: Die anderen Maßnahmen haben für die Patientinnen und Patienten insgesamt zusätzliche Belastungen in Höhe von 46 Milliarden Euro gebracht. Das Ergebnis ist – dies verkünden Sie jetzt mit großem Stolz -: Die Krankenversicherungen haben einen Überschuss von über 20 Milliarden Euro. Ich finde, dass es nicht in Ordnung ist, wenn auf der einen Seite die Krankenkassen einen Überschuss von 20 Milliarden Euro haben und auf der anderen Seite die Ärmsten der Bevölkerung eine Praxisgebühr zahlen müssen. Das ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Von den Ärmsten zahlt sie niemand!)

Im Übrigen gibt es auch bei den Kassen sehr wohl differenzierte Sichtweisen. Es ist nicht so, dass alle Kassen das ganz toll finden. Es ist im Übrigen auch eine schreiende Ungerechtigkeit, dass 9 Millionen Privatversicherte diese Gebühr nicht zahlen. Dies ist eine Zweiklassenmedizin.

(Jens Spahn (CDU/CSU): Geht es noch ein bisschen plumper?)

Nun möchte ich einen Satz zur SPD sagen. Man kann es ja nett ausdrücken, lieber Karl Lauterbach, und es eine Weiterentwicklung von Positionen nennen und von Erkenntniszuwachs sprechen. Eines allerdings geht nicht: dass sich die SPD in dieser Frage als Speerspitze der Bewegung geriert. Das ist sie nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt nämlich eine andere Fraktion, die die Abschaffung der Praxisgebühr seit vielen Jahren fordert.

Ich finde es zwar gut, dass sich Ihre Position verändert hat; letztlich müssen wir aber auf etwas anderes drängen. Wir brauchen eine solidarische Bürgerversicherung, damit wir diesen Bereich insgesamt verändern. Nicht nur die Praxisgebühr muss weg. Die Beitragsbemessungsgrenze muss natürlich auch aufgehoben werden. Wir müssen Beamte, Abgeordnete und Selbstständige in das allgemeine System einzahlen lassen. Dann werden wir dieses Problem lösen können.

Wir als Linke haben eine Studie anfertigen lassen. Die Ergebnisse dieser Studie sind sonnenklar. Ähnliche Erkenntnisse gibt es auch bei den Sozialdemokraten. Aktuell liegen die Beiträge bei 15,5 Prozent, nicht einmal paritätisch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt. Wir wollen eine Bürgerversicherung mit einem Beitrag in Höhe von 10,5 Prozent, wobei beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, 5,25 Prozent übernehmen. Dann könnten wir alle Zuzahlungen abschaffen, wir könnten die Praxisgebühr abschaffen, und wir könnten das Ganze finanzieren. Das wäre der Weg; das wäre wirklich eine große Lösung.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist natürlich interessant, dass auch Sie das wollen. Wir alle wissen, dass die Privatversicherungen im Niedergang sind. Das wird sich so ergeben.

(Dr. Karl Lauterbach (SPD): Wir wollten die Bürgerversicherung zuerst! Elke Ferner (SPD): Die haben wir schon beschlossen, da gab es die Partei Die Linke noch gar nicht!)

– Nur zu, ich bin ja für die Bürgerversicherung. Sie müssen mir aber eines erklären: Wenn Sie wirklich für die Bürgerversicherung sind, dann müsste doch für Sie – anders als für Ihren Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück – die FDP ein Albtraumpartner sein; denn die wollen das nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke wäre der Traumpartner; denn wir wollen eine Bürgerversicherung. Lassen Sie uns das doch gemeinsam machen. Das wäre eine vernünftige Variante. Wir sollten darüber nachdenken, hier einen großen Schnitt zu machen, und nicht nur kurzfristig handeln.

Ich will Ihnen eines sagen die Linke verhält sich da ein bisschen anders : Sie haben jetzt gesagt, dass Sie einen Antrag vorlegen, in dem Sie ausschließlich die Abschaffung der Praxisgebühr fordern. Ich sage Ihnen: Wir werden Ihrem Antrag – bei allen Differenzen – zustimmen. Die Grünen haben einen Antrag gestellt. Ich sage ganz klar: Die Fraktion Die Linke stimmt diesem Antrag zu. Die FDP ist für die Abschaffung der Praxisgebühr. Es könnte heute eine ganz einfache Angelegenheit sein: Wir stimmen ab, und wir schaffen die Praxisgebühr ab. Ich glaube, im Lande würden sich ganz viele darüber freuen.

Ganz nebenbei: Es wäre ein Gewinn für die Demokratie, wenn wir einmal außerhalb dieser Basarhandlungen und außerhalb von Anrufen und Ähnlichem etwas im Bundestag klärten, wovon die Mehrheit des Hauses überzeugt ist. Die Mehrheit hält die Einführung der Praxisgebühr für einen großen Fehler, weil alles das, was man sich davon erwartet hat, nicht eingetroffen ist. Wir sollten endlich eine Entscheidung treffen, die im Sinne der Ärztinnen und Ärzte, im Sinne der Patientinnen und Patienten, im Sinne der Krankenkassen, also im Sinne der Mehrheit in diesem Lande ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)