Dietmar Bartsch: Keinen Blankoscheck für Merkels Pandemiepolitik

16.04.2021 – Nicht die Ministerpräsidenten sind das Problem, sondern die Minister von CDU und CSU im Bund sind das Problem. Das Versagen der Verantwortlichen im Umgang mit dieser Krise erscheint vielen Bürgern inzwischen als unverzeihlich. Es ist besonders verwerflich, dass die Union das ganze Land monatelang mit ihren Personalproblemen belästigt. Wir befinden uns in den vielleicht schwersten Tagen der Pandemie und die Union kümmert sich nur um eine Frage: Söder oder Laschet? Wer wird der künftige Oppositionsführer? Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist eine Abrissbirne für den Parlamentarismus. Von der Linksfraktion gibt es keinen Blankoscheck für Merkels Pandemiepolitik!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben im vergangenen Jahr gegen den Rat auch der Opposition die Pandemiebekämpfung in die Ministerpräsidentenkonferenz verlagert – ein Gremium, das das Grundgesetz nicht kennt. Dieser Weg, Ihr Weg der Pandemiebekämpfung ist gescheitert. Die im Kanzleramt geschaffenen Handlungsleitplanken haben das Land in die dritte Coronawelle manövriert. Wir haben seit November einen permanenten Halb-Lockdown und sind immer nach der Welle. Es ist uns nicht gelungen, hier wirklich eine Veränderung vorzunehmen.

Dann kam das bekannte Osterruhe-Desaster nach der letzten MPK. Ich hätte erwartet, dass Sie direkt danach mit wirkungsvollen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung in den Bundestag zurückkehren. Sie haben bei Anne Will gesagt: Viel Zeit haben wir nicht mehr. – Das ist drei Wochen her. Passiert ist danach nichts. Sie sagen: Das Virus versteht kein Zögern. – Aber die Lage ist jetzt so, dass es bereits zehn nach zwölf ist: Die Inzidenz steigt. Die Auslastung der Intensivbetten steigt. Es gibt dramatische Appelle, nahezu täglich, von den Intensivmedizinern. Die Folgen bei jungen Menschen, Long Covid, werden immer deutlicher sichtbar. Das ist die reale Situation.

Das Versagen der Verantwortlichen im Umgang mit dieser Krise erscheint vielen Bürgern inzwischen als unverzeihlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und dazu gibt es eine chaotische Kommunikation.

Wir sehen es doch in anderen Ländern – lieber Herr Lindner, ich muss darauf hinweisen –: In Großbritannien öffnen die Pubs. In Israel öffnet man die Strände. Ich kann Ihnen sagen, wie diese Länder aus der Pandemie gekommen sind: Über millionenfache Impfungen und über konsequentes Handeln, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

In den USA werden täglich 4 Millionen Menschen geimpft. Bei uns liegen 4 Millionen Impfdosen rum, und der Gesundheitsminister hat dafür keine reale Erklärung.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Inzwischen sind 22 Prozent der Amerikaner vollständig geimpft, 57 Prozent der Israelis, 24 Prozent der Chilenen. Und bei uns? Der zentrale Punkt, warum Deutschland beim Impfen sogar unter dem EU-Schnitt liegt, ist Ihrem Impfversagen und der Bürokratie geschuldet. Vier Monate zu spät bestellt! Das sind die vier Monate, die es jetzt für die Bürgerinnen und Bürger besonders schwer machen, meine Damen und Herren. Das ist die reale Lage.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP)

Da, wo die Bundesregierung in der Pflicht war, haben Sie es eben vielfach nicht hinbekommen. Was macht eigentlich die Corona-Warn-App? Was ist denn eigentlich damit? Sie gucken gerade darauf, wie es mit ihr steht.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Können Sie die überhaupt bedienen?)

Was ist denn mit den bundesweiten Tests? Bis heute bestehen diese Mängel fort, und das Infektionsschutzgesetz behebt eben keinen davon.

Es ist gut, dass die Bundesregierung auf dem Weg zurück in den Deutschen Bundestag ist. Aber es ist inakzeptabel, dass Sie den Bundestag faktisch mit diesem Gesetz nicht stärken, sondern entmachten

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

und selbst einen Blankoscheck haben wollen.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP)

Das ist keine Stärkung des demokratischen Verfahrens, sondern eine Abrissbirne für den Parlamentarismus.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Bitte! Bitte! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Als ob Sie was von Demokratie verstehen würden!)

Und dann fällt Ihnen nach 14 Monaten vor allen Dingen die Ausgangssperre ein, und zwar eine bundesweite Ausgangssperre. Das ist richtig: Es gibt lange Ausgangssperren. Das ist auch möglich; das ist auch völlig in Ordnung. Aber das ist so widersinnig wie die Osterruhe. Es ist rechtlich höchst bedenklich. Es ist ein Grundrechtseingriff.

(Stephan Brandner [AfD]: Mit Einsperren kennen Sie sich ja aus! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist der Destruktivismus der deutschen Opposition! Keine Vorschläge! Nur meckern! Unglaublich! Erbärmlich! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sagen Sie doch, dass Sie sich einer Entscheidung im Bundestag verweigern wollen!)

Die Aerosolforscher haben natürlich eine ganz andere Position. Sie sagen: Die Gefahr lauert in den Innenräumen. – Es geht doch um den Abendspaziergang oder das Jogging. Stellen Sie mal vor, Sie haben Homeoffice gehabt, Sie haben Homeschooling gemacht, und dann wollen Sie abends um 21 Uhr als alleinerziehende Mutter noch einmal für eine halbe Stunde raus, und das dürfen Sie nicht aufgrund Ihrer Beschränkungen! Kontaktbeschränkungen ja; aber das ist nicht die Lösung. Impfen, das ist der Schlüssel.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP)

Wo ist denn der angekündigte Impfturbo? Wo sind denn die neuen Produktionsstätten? Wo ist eine nationale Teststrategie?

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Populismus ist das, der übelsten Sorte!)

Nicht die Ministerpräsidenten sind das Problem, sondern es sind die Minister der CDU und der CSU im Bund. Sie haben hier schlecht regiert. Deswegen ist die Lage so, wie sie ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist übrigens besonders verwerflich – weil Sie hier so laut sind, Herr Brinkhaus –,

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Die höchsten Inzidenzzahlen hat Thüringen!)

dass die Union das ganze Land mit ihren Personalproblemen belästigt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es ist verwerflich! Das sind die schwersten Tage der Pandemie, und Sie reden über Söder und Laschet und darüber, wer hier denn im nächsten Bundestag Oppositionsführer ist.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Lösungen! Lösungen!)

Lassen Sie das endlich! Das wäre sinnvoll, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Herr Bartsch, Sie sind ein übler Populist! Ein übler Populist!)

Der Bund war während der gesamten Pandemie nicht in der Lage, für Schulen Luftfilter und für Lehrer rechtzeitig Impfstoffe zu beschaffen, und nun soll das Kanzleramt autorisiert werden, in Passau oder in Rostock die Schulen zu schließen? Das ist niemandem zu vermitteln, meine Damen und Herren. Das ist die Situation.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Die Lage bei Ramelow in Thüringen ist nicht niedrig! In Thüringen sterben die Menschen bei einem linken Ministerpräsidenten! Das ist die Wahrheit!)

Kinder sind bei Ihnen nämlich der blinde Fleck, lieber Herr Brinkhaus.

(Tino Chrupalla [AfD]: Ihr passt schon alle gut zusammen hier! – Lachen der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD] – Stephan Brandner [AfD]: Ich glaube, Herr Brinkhaus hat ein schlechtes Gewissen! – Gegenruf von der CDU/CSU: Halten Sie doch den Mund!)

Kinder sind bei Ihnen der blinde Fleck in der Pandemiebekämpfung. Die Schulen hatten bei Ihnen nie Priorität. Zu Kindern und zu Familien sind Sie in der Pandemiebekämpfung hammerhart. Aber in der Wirtschaft, da sind Sie wachsweich. Das ist die Situation.

(Beifall bei der LINKEN)

Haben Sie eigentlich Sorge, dass die Union keine Spenden für die Bundestagswahl kriegt?

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)

Sie haben hier elf Leute, die wegen Korruption letztlich zurückgetreten sind. FC Eigene Tasche – das ist doch bei der Union derzeit der Fall. Ihnen fehlt immer noch der Fokus.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Populist! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Pandemiebekämpfung bedeutet immer auch Einschränkung im Privaten bei Ihnen, bei den Haushalten; aber es geht nie darum, die Wirtschaft auch mal in Fokus zu nehmen.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist ein Tiefpunkt der Linksfraktion! Ein Tiefpunkt! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ihnen fehlt echter Anstand!)

Es geht nicht darum, die Wirtschaft anzuhalten – darum geht es nicht –, aber es muss darum gehen, das Arbeitsleben sicherer zu machen und Ansteckungen zu verhindern. Kein Kotau vor den Wirtschaftsverbänden! Kontaktbeschränkungen ja, aber nicht so, wie Sie das hier machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Was wir den Schülern zumuten, das muss bei Unternehmen doch gang und gäbe sein. Das wäre die Wahrheit.

Frau Bundeskanzlerin, die Fraktion Die Linke kann so Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Dann haben wir ja alles richtig gemacht!)

Ich hoffe auf Veränderung im parlamentarischen Verfahren. Sie erhalten von meiner Fraktion keinen Blankoscheck für Ihre Pandemiebekämpfung. Das Gesetz ist kein schnelles Instrument zum Brechen der dritten Welle. Es ist vielfach autoritäre Symbolpolitik.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist unglaublich! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Da sind sich die Linke und die AfD mal einig! Mal wieder einig!)

Verbarrikadieren Sie sich nicht im Kanzleramt. Ich rate Ihnen – unabhängig von dem Gesetz –: Wir brauchen endlich einen breiten Dialog, einen Dialog auch von Virologen und Ärzten, aber eben auch Pädagogen, Psychologen, Wirtschaftswissenschaftlern, Künstlern, Gewerkschaften usw. Nur dann werden wir Vertrauen zurückgewinnen können.

(Karin Maag [CDU/CSU]: Bis dahin sind die Leute gestorben!)

Das ist das wichtigste Kapital, das wir haben, und das haben Sie leider vielfach missbraucht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Also, ich würde mich für eine solche Rede echt schämen! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das war noch schlimmer als Weidel! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]: Jetzt aber vorsichtig! – Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Nee, nee! Den Unterschied zur AfD könnt ihr gar nicht mehr erklären! – Gegenruf des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das muss ich mir nicht anhören! Ausgerechnet von euch! – Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Doch, das müssen Sie sich anhören! Sie unterscheiden sich in der Frage nicht von denen da! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Brüder im Geiste! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]: Echt vorsichtig! Das ist das Allerletzte! – Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Passen Sie lieber auf, was Sie reden! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]: Vorsichtig! – Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Schauen Sie mal in den Spiegel!)