Attitüde Unfehlbarkeit

In Deutschland wachsen Unzufriedenheit, Verzweiflung und Wut. Während die USA, Großbritannien, Israel und andere Länder im Rekordtempo impfen erleben die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland Krisenmissmanagement.

Die Bundeskanzlerin ist der Auffassung, im Großen und Ganzen sei nichts schiefgelaufen. Null Selbstkritik und jede Menge Selbstgefälligkeit! Das sind zunehmend Merkmale der Kanzlerin.

Wir haben seit Wochen leere Impfzentren und Millionen verzweifelte Bürger, die stundenlang in Warteschleifen stecken. Wir stehen hinter Rumänien, der Slowakei und Griechenland beim Impfen. Wir sind selbst in der EU abgeschlagen bei den Impfungen. Täglich sterben viele Menschen in Alten- und Pflegeheimen, weil sie nicht geschützt werden und der Impfstoff fehlt. In Hessen zum Beispiel kamen im Januar 73 Prozent derjenigen, die an Corona verstorben sind, aus Alten- und Pflegeheimen. Das Sterben in den Heimen ist das vielleicht dunkelste Kapitel der letzten Jahrzehnte. Dazu gab es nie einen Gipfel.

Deutschland hatte im vergangenen Jahr von Juli bis Dezember die Ratspräsidentschaft in der EU. Natürlich war es richtig, dass der Impfstoff europäisch bestellt wurde. Das bestreitet niemand. Überaus fraglich ist aber in der Tat, warum damit eine frühere Ministerin beauftragt wurde, die schon einmal an Verträgen gescheitert ist. Frau von der Leyen nach dem Beraterskandal im Verteidigungsministerium den Ausweg nach Europa zu ermöglichen, war ein Fehler. Eines hat sich in 16 Jahren nicht geändert.

Drei Fragen muss die Kanzlerin und Ihr Gesundheitsminister den Bürgerinnen und Bürgern endlich beantworten:

  1. Warum bestellte die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft den Impfstoff, den Deutschland mit viel Steuergeld fördert, vier Monate später als Großbritannien und die USA?
  2. Warum bestellte die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft weniger Impfdosen von Biontech und Moderna als möglich waren und warum hat es Deutschland zugelassen, dass beim Preis gefeilscht wurde?
  3. Warum hat sich die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft und die Bundesregierung selbst im Jahr 2020 nicht um die Ausweitung der Produktionskapazitäten gekümmert?

Der Impfgipfel in der vergangenen Woche war ein Placebo. Er hätte im Sommer, als Biontech und auch Curevac mit hunderten Millionen an Steuergeldern gefördert wurden, stattfinden müssen.  Die Bundesregierung hat die Impfstoffentwicklung gefördert, aber die Produktion bis heute verschlafen. Großbritannien und die USA agieren komplett anders. Die USA impfen über 1,5 Millionen Menschen am Tag. Die Amerikaner haben im letzten Frühjahr die Operation „Warp Speed“ gestartet. 18 Milliarden in Forschung, Produktion und Impfstoffe investiert. 18 Milliarden in den USA, in der EU gab es knapp drei Milliarden. Was für ein Missverhältnis! Europa hat dazu deutlich mehr Einwohner. Es ist kein Zufall, dass drei amerikanische Bundesstaaten mehr geimpft haben, als die gesamte EU zusammen.

Ein Fünkchen Selbstkritik der Kanzlerin? In einer historischen Ausnahmesituation, wo das Vertrauen der Bürger das höchste Gut ist, sollten Fehler dieser Tragweite auch zugegeben werden. Im Großen und Ganzen ist in den letzten Monaten zu viel schiefgelaufen. Vom Pandemieweltmeister im Frühjahr abgestiegen in den Impfkeller Europas. Während andere Länder auf dem Weg aus der Pandemie sind, stecken wir auch durch dieses Versagen weiter im Lockdown fest. Es ist nicht nur das Virus das krank macht, es ist auch der Umgang mit dem Virus, der zunehmend Schäden anrichtet.