Treuhandaufarbeitung ist eine Frage des Respekts!

Betrachtet die Bundesregierung den Auftrag und die Ausrichtung der Arbeit der Treuhandanstalt als einen politischen Fehler der Nachwendezeit? Diese Frage habe ich der Regierung kürzlich gestellt. Folgende Antwort erhielt ich aus dem Finanzministerium, das seinerzeit die Rechts- und Fachaufsicht über die Treuhand hatte: „Im Ergebnis ihrer Tätigkeit hat die Treuhandanstalt die Grundlage für die marktwirtschaftliche Entwicklung auf der Basis privater Unternehmen in den ostdeutschen Bundesländern geschaffen. Die Bundesregierung sieht hierin rückblickend einen wesentlichen Baustein des Transformationsprozesses.“

Ich sehe in dieser Antwort einen Schlag ins Gesicht vieler Ostdeutscher. Besonders wenn man bedenkt, was der gesetzliche Auftrag der Treuhandanstalt war. Ja, sie sollte privatisieren, aber dabei die „Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler Unternehmen herstellen und somit Arbeitsplätze sichern und neue schaffen.“ Hat die Treuhand diesen Auftrag erfüllt? War sie ein Baustein einer guten Entwicklung? Sicherlich nicht.

Etwa vier Millionen Menschen waren in den Betrieben beschäftigt, die die Treuhand übernahm. Es sei zwar laut Bundesregierung „statistisch nicht erfasst“, wie viele Menschen damals ihren Job verloren. Aber für 1,5 Millionen Arbeitsplätze habe es vertragliche Zusagen gegeben, die eingehalten worden seien. Mal beiseite, dass bereits der erste Untersuchungsausschuss seinerzeit feststellte, dass es in 500.000 Fällen lediglich Absichtserklärungen waren, die daher oft folgenlos blieben. Sicher ist, mehr als 2,5 Millionen Menschen standen auf der Straße.

Man kann sich ja lange darüber streiten, wie problematisch der Zustand der Wirtschaft der DDR tatsächlich war. Gut war er wahrlich nicht. Aber das Argument von der durchweg maroden DDR-Wirtschaft, das zuletzt der Ostbeauftragte der Bundesregierung wieder bemühte, zieht nicht. Denn dafür hätte die Treuhand ja irgendetwas verbessern müssen. Sie hat aber den Zustand noch deutlich verschlimmert. Sie war planloser als die Planwirtschaft. Vieles an Industrieproduktion und Wirtschaftskraft plattmachen, massenhaft Leute nach Hause schicken und die Filetstücke zu Spottpreisen in Richtung Westen verkaufen, war das Gegenteil einer treuhänderischen Politik.

Es ist an der Zeit, dass der Bundestag jetzt in die Treuhandakten schaut. Die Untersuchungsausschüsse der 90er Jahre waren aus mehreren Gründen unzureichend. Viele Akten lagen nicht vor. Diese werden jetzt nach Ablauf der Sperrfrist nach und nach zugänglich. Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss, damit von der heutigen Politik Fehler auch als Fehler benannt werden. Das kann keine wissenschaftliche Aufarbeitung leisten. Es reißt tiefe Wunden, wenn quasi über Nacht jahrzehntelange Arbeit als „marode“ abqualifiziert und Lebensleistung abgewickelt wird. Das Mindeste ist, dass anerkannt wird, dass es so war. Gegenüber den Millionen Ostdeutschen, die in dieser Zeit ihren Arbeitsplatz verloren, ist dies eine Frage des Respekts. Aber nicht nur das: Es ist eine gesamtdeutsche Angelegenheit. Wer kommendes Jahr 30 Jahre Deutsche Einheit feiern will, sollte verstehen, warum vielen Menschen nicht nach Feiern zumute ist.