Plädoyer fürs Bessermachen

„Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!“, dichtete Louis Fürnberg. Er tat es, berichtete nach Jahrzehnten seine Witwe, zwischen Gehorsam und Verzweiflung, zwischen Kränkung und Trotz, wohl auch ahnend, dass ihm diese Zeilen letztlich auf die Füße fallen. Bertolt Brecht sah die Dinge anders: „Ich habe bemerkt, (…) daß wir viele abschrecken von unserer Lehre dadurch, daß wir auf alles eine Antwort wissen“, ließ er seinen Herrn Keuner sagen.

Die Geschichte der Linken, ihrer Parteien und Bewegungen, ist reich an Streit und ideologischen Schlachten, an Besserwisserei und Demütigungen. Rechthaben als Doktrin. Das Ergebnis waren und sind nicht selten Spaltungen in kaum noch wahrnehmbare Sekten, ist eine sich selbst pulverisierende Linke, zu beobachten bis in unsere Tage, schauen wir nur nach Italien, aber bitte auch aufmerksam auf unsere Partei. Auch wir in der Partei DIE LINKE haben die Auseinandersetzungen bisweilen deutlich übertrieben, das wäscht uns kein Regen ab. Ja, der Aufbruch 1989/90 war verbunden mit der Absage an Avantgarde-Ansprüche und dem Bruch mit dem Stalinismus als System. Harte innerparteiliche Auseinandersetzungen schloss das in der Folge nicht aus, mitunter schien die Dominanz in der internen Debatte wichtiger als die Veränderung der Welt. Und ja, im Streit um Regieren, Tolerieren und Opponieren ging es ebensowenig um Nebensächlichkeiten wie in denen darüber, ob sich Sozialistinnen und Sozialisten den Konflikten inmitten der Gesellschaft und ihrer Organisationen stellen oder besser kompromisslos von linken Positionen aus agieren sollten. Dass es auch innerhalb der Linken persönliche Sympathien und Antipathien gibt, muss uns nicht erschrecken. Doch zurecht und mitunter fast verzweifelt führte unser langjähriger Vorsitzender Lothar Bisky den Kampf gegen eine denunziatorische Kommunikation, die Meinungen und Argumente nicht nach dem Inhalt, sondern nach ihrer Herkunft, ihren Absenderinnen oder Absendern, bewertet. Diesen Kampf müssen wir weiter führen.

Ich bin sehr froh, dass sich die Vorstände unserer Partei und ihrer Bundestagsfraktion Ende des vergangenen Jahres darauf verständigt haben, sich entschieden mehr auf die politischen Konkurrenten zu konzentrieren und unsere Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen. Ganz in diesem Sinne sehe ich auch im jüngsten Europaparteitag der LINKEN ermutigende Zeichen. Dreierlei hat sich in Bonn sowohl in Sach- als auch in Personalfragen gezeigt: Wir können fair und sachlich streiten, wir können Differenzen aushalten und wir können einen gemeinsamen Willen bilden. Dies alles bei einem Thema, das in unserer Partei wahrlich nicht zu den unumstrittenen zählt, der Europapolitik und unserem Verhältnis zur Europäischen Union. Dem Bundesparteitag lagen nicht weniger als 580 Anträge vor!

Ich denke, ein solidarischer Umgang miteinander und sachorientierte Verfahren sollten auch bei anderen Fragen, heikle eingeschlossen, möglich sein. Es ist doch nicht überraschend, dass es z.B. im Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie auch in der LINKEN verschiedene Sichten gibt. Natürlich wird auch bei uns der Kohleausstieg in der Lausitz in anders akzentuierter Weise diskutiert als vielleicht im Schwarzwald, ringen auch Linke darum, wie der Erhalt von Arbeitsplätzen und der Erhalt der Umwelt unter einen Hut zu bringen sind. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, es sollte doch gut möglich sein, dass in einer Partei Menschen, die mit dem Begriff Heimat Deutschtümelei verbinden und ihn daher mit guten Gründen ablehnen, mit jenen klarkommen, die ohne eigenes Zutun und ohne Umzug in ein anderes Land gelangt sind und auf diese Weise ein Stück Heimat verloren haben, oder mit solchen, für die Heimat eine höchst pragmatische Sache ist, vielleicht im Sinne Heiner Müllers, für den sie „dort ist, wo die Rechnungen ankommen.“ Manches Problem, da bin ich ziemlich sicher, wird ein Dauerbrenner bleiben, etwa die Frage danach, wie der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital ausgetragen werden soll. Klassenkämpferisch oder sozialpartnerschaftlich? Oder beides?

Die eingangs von Herrn Keuner zitierte Aussage geht übrigens noch etwas weiter. Er fragt nämlich: „Könnten wir nicht im Interesse der Propaganda eine Liste der Fragen aufstellen, die uns ganz ungelöst erscheinen?“ DIE LINKE hat solches schon einmal gemacht, es war nicht die schlechteste Idee. In ihrem programmatischen Gründungsdokument zählte sie 2007 eine Reihe von Problemen und Fragen auf, die weiter diskutiert werden müssen und auf die Antworten zu finden sind. Dazu gehörten: Kann die Forderung nach Vollbeschäftigung noch ein realistisches Ziel alternativer Politik sein? Inwieweit ist der Prozess der Globalisierung demokratisch und sozial gestaltbar und welche Möglichkeiten hat nationalstaatlicher Politik noch? Ist es ausreichend, eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung für Menschen in sozialer Not zu fordern, oder ist ein bedingungsloses individuelles Grundeinkommen als Rechtsanspruch für alle Bürgerinnen und Bürger zu fordern?
Wie stehen Linke in der Menschenrechtsfrage zum Verhältnis von sozialen und individuellen Bürgerrechten? Welche Bedeutung hat der Bezug auf Klasseninteressen und -kämpfe für unsere Politik? Welches sind die besonderen Aufgaben einer Partei im Unterschied zu sozialen Bewegungen?

Selbstverständlich will ich nicht der Unverbindlichkeit das Wort reden. Eine politische Partei braucht ein klares Profil, braucht klare Positionen. Sie braucht aber, meine ich, auch ein bestimmtes Maß an Gelassenheit und Souveränität im Umgang mit strittigen Fragen. Was wir meines Erachtens absolut nicht benötigen, ist das Schwert der „richtigen“ Meinung. Ich war einmal in einer Partei, die immer Recht hatte. Das reicht für ein Leben. Es geht ums Bessermachen, nicht ums Besserwissen, oder, wie Marx es eleganter formulierte: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.“