Die Zeichen auf Links drehen

Rede des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Dietmar Bartsch, auf dem Europa-Parteitag der LINKEN am 23. Februar in Bonn

 

Liebe Genossinnen und Genossen, ich will den Bericht der Fraktion, so wie es ausgeschildert ist, auch halten. Ich tue das auch im Namen meiner Mitfraktionsvorsitzenden Sahra. Ich finde es ein bisschen schade, dass ich meinen Bericht vor der Abstimmung [Anmerkung: Abstimmung zur Einleitung des Europawahlprograms] halte. Ich hätte mich gefreut, wenn die Abstimmung bereits gewesen wären, dann hätte ich Einiges dazu sagen können. Ich bin jetzt einigermaßen gespannt.

Aber so beginne ich erst einmal mit der Arbeit unserer Fraktion. Ich möchte zunächst feststellen, das ist schon keine Neuigkeit mehr, aber es muss immer mal wieder ausgesprochen werden: Wir sind im Bundestag mit Abstand, quantitativ zunächst, die fleißigste Fraktion. Wir haben wieder die meisten kleinen Anfrage gestellt, mit Stand Freitag waren das 942. Wir haben mit Abstand die meisten parlamentarischen Initiativen auf den Weg gebracht, 1.202. Das sind Anträge, Gesetzentwürfe, kleine und große Anfragen. Der Satz: „Auf Anfrage der Linksfraktion…“ ist ein geflügeltes Wort in vielen Medien geworden und darauf können wir stolz sein. Aber auch qualitativ sind wir, nach meiner Einschätzung, ganz weit vorne. Natürlich stimmen wir im Plenum immer gemeinsam. Es hat in der gesamten Legislatur noch keine Abstimmung gegeben, wo wir als Fraktion nicht gemeinsam agiert haben. Wir sind, trotz mancher Konflikte, zu einem linken, politischen Konsens fähig. Wir setzen vermeintlich kleine Dinge auch real um. Ich könnte die gesamte Redezeit mit Beispielen ausfüllen, aber ich will nur ein kleines Beispiel nennen.

Die Bundesregierung hatte den Opfern des Nationalsozialismus bei einem Umzug in ein Pflege- oder Altersheim die Opferrente gekürzt. Wir haben dazu parlamentarische Initiativen unternommen, haben Druck gemacht in Gesprächen und haben es geschafft, dass im Januar dieses Jahres die Kürzung zurückgenommen worden ist. Das was Schäuble eingeführt hat, wurde jetzt zurückgenommen. Hier danke ich besonders Jan Korte, der sich in dieser Sache sehr engagiert hat. Dank uns allen, dass wir hier etwas ganz Konkretes geschafft haben.

Wir sind natürlich im parlamentarischen Bereich, die Bilder haben das gezeigt, auch bereit mit anderen Parteien zusammenzuarbeiten. Wir haben mit FDP und Grünen eine Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz auf den Weg gebracht, weil dort Freiheitsrechte eingeschränkt werden. Wir klagen gemeinsam mit der FDP und den Grünen was das Parteiengesetz betrifft, weil sich Union und SPD hier Geld unter den Nagel reißen wollen, weil ihre Wahlergebnisse nicht so gut waren und sie nun ein paar Probleme haben. So geht das aber nicht. Wir arbeiten mit den Grünen zusammen beim Klima, bei der Gleichstellung, aber auch beim Kampf gegen Kinderarmut.

Und ja, es ist so, dass wir mit der SPD viele Gemeinsamkeiten haben. Es gibt auch neue Hoffnung mit dem, was es bei der SPD derzeit passiert. Aber ich will eines hier und heute mit großer Klarheit sagen: Das, was wir vor zwei Tagen erlebt haben bei §219a, das ist wirklich unfassbar. Es lag nicht an den Grünen, es lag nicht an der FDP. Die SPD hatte in ihrer Fraktion sogar einstimmig beschlossen für die Streichung des §219a zu stehen und dann haben sie wegen des Koalitionsfriedens alles weggeschoben. Dabei haben wir es doch bei der Ehe für alle gesehen. Angela Merkel hat das zu einer Gewissensentscheidung gemacht. Warum war das bei §219a nicht möglich, warum hat die SPD gekniffen, das ist doch unfassbar. Jede Frau muss die Möglichkeit haben, sich umfassend beraten zu lassen. Unsere Position bleibt ganz klar und eindeutig: Weg mit §219a und auch weg mit §218.

Ja, es gibt bei der SPD eine neue Charmeoffensive, eine soziale Charmeoffensive. Wir müssen das auch ernst nehmen, wenn der Kollege Heil Vorschläge zur Rente macht und damit anerkennt, dass es ein Problem bei dem Thema Altersarmut gibt. Ich will im Übrigen mal festhalten, dass es Matthias W. Birkwald, der bei uns Rentenpolitik macht, wie vermutlich Jede und Jeder weiß, war, der die Bundesregierung zu der Bestätigung gebracht hat, dass die Zahl der armen Rentner in den letzten 10 Jahren von 14,0 auf 19,5 Prozent gestiegen ist. Deswegen ist es richtig, dass dieses Thema endlich in den Fokus gerät und selbstverständlich sind wir bereit, uns für das Thema weiter zu engagieren.

Neulich wurde ich auf einer Pressekonferenz gefragt, ob das denn jetzt so wäre, dass uns mit den neuen Vorschlägen der SPD die Butter vom Brot genommen wird. Nein, gegenteilig, wir bekommen Butter auf’s Brot. Das sind unsere Themen! Wenn 12 Euro Mindestlohn realisiert werden, dann ist das eine gute Sache. Wenn endlich der Kampf gegen Altersarmut aufgenommen wird, dann ist das eine gute Sache. Und wenn der Kampf gegen Kinderarmut wirklich realisiert wird, dann ist das eine vernünftige Sache. Wir sind da um Bewegungen hinzukriegen für die Menschen. Da machen wir jeden Schritt, der positiv ist, selbstverständlich mit.

Deswegen nochmal das Angebot an die Sozialdemokraten, an die Gewerkschaften, an die Sozialverbände: Wir wollen einen Sozialstaatsdialog, der die Frage beantwortet, was Sozialstaat im 21. Jahrhundert unter den Bedingungen von Globalisierung, Digitalisierung und Veränderung der Arbeitswelt ist. Dazu sind wir bereit. Also: Kommt her, lasst uns reden, lasst uns streiten. Wir brauchen gesellschaftlichen Druck, weil die mitte-links Mehrheiten im Parlament leider nicht mehr da sind. Das hat auch mit der Sozialdemokratie zu tun. Wir sind die Partei der Veränderungen und nur wir sind ein Bündnispartner, wenn man wirklich korrigieren will. Nicht Union und FDP, sondern DIE LINKE.

Ich will nur ein Thema kurz aufrufen, was mir besonders am Herzen liegt: Kampf gegen Kinderarmut. Es ist ein kompletter Offenbarungseid wie die Situation ist. Der Kinderschutzbund hat festgestellt, dass es 4 Millionen Kinder gibt, die arm oder von Armut bedroht sind. Armut in einem so reichen Land wie Deutschland heißt nichts anderes, als dass man alle Möglichkeiten vor Augen hat – alle – aber immer überall nur ein riesengroßes Nein sieht. Das führt tagtäglich zu Demütigungen und das ist etwas, womit wir uns nicht abfinden können. Das ist und bleibt inakzeptabel und dieses Starke-Familien-Gesetz ist im Kern ein Starke-Bürokratie-Gesetz. Der Anspruch, die Berechtigten für das Bundes- und Teilhabegesetz von 30 auf 35 Prozent zu steigern ist so was von unambitioniert – das ist doch nicht zu akzeptieren. Jedes Kind muss uns gleich viel wert sein. Kinder sind keine kleinen Arbeitslosen, deswegen brauchen wir einen Systemwechsel hin zu einer Kindergrundsicherung. Das ist im Übrigen auch der Kern des Netzwerkes gegen Kinderarmut, wo ich mich engagiere und sehr froh bin, dass das regional eine große Rolle spielt in meinem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern – Jaqueline Bernhardt ist da sehr engagiert und in Sachsen-Anhalt Eva van Angern. Es ist gut, dass wir dort gesellschaftlichen Druck aufbauen.

Was mich in besonderer Weise nervt, ist, dass dann immer gesagt wird: Wie ist das eigentlich mit der Finanzierung? Da sage ich als ehemaliger Haushälter – das ist wirklich an Absurdität nicht zu übertreffen. Wir hatten im letzten Jahr 11,2 Milliarden Überschuss im Bundeshaushalt. Wir geben in diesem Jahr 40 Milliarden für Rüstung aus. Beim 2 Prozent Bruttoinlandsprodukt für Aufrüstung fragt kein Mensch wie das finanziert wird. Immer nur wenn es um das Soziale geht wird das gefragt. Wir haben in diesem Land so viel wahnsinnigen Reichtum. Warum wird da nicht endlich mal etwas gemacht? Die Zahl der Milliardäre hat sich während der Finanzkrise verdoppelt. Auch in Deutschland ist im letzten Jahr die Zahl der Milliardäre wieder größer geworden. Sie hatten im letzten Jahr 20 Prozent Vermögenszuwachs. Und das in einer Situation, wo es Kinderarmut und Altersarmut gibt. Das ist doch nicht normal. Da müssen wir endlich etwas tun. Da müssen wir umverteilen.

Der Koalitionsvertrag ist überschrieben „Ein neuer Aufbruch für Europa, eine neue Dynamik für Deutschland, ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Das könnte von uns sein, aber in der Praxis machen sie davon eben viel zu wenig.

Die Bundestagsfraktion ist im Übrigen ein zentraler Baustein einer geeinten deutschen Linken, um die uns viele europäische Genossinnen und Genossen wirklich beneiden. Guckt mal nach Italien, was aus der ehemals stolzen Linken geworden ist. Viele ganz bedeutungslose kleine Parteien. Wir brauchen keine Zersplitterung. Die Einheit der Partei – sie ist kein Witz, sie ist auch kein Spiel, sie ist ein historischer Auftrag. Und natürlich heißt das, den pluralen Charakter erhalten, das weiß ich doch alles, und natürlich müssen wir Kompromisse aushalten, natürlich müssen wir auch einander aushalten. Pluralismus heißt eben auch, sich mal auf die Nerven zu gehen.

Wir sind in die Politik gegangen und wir sind Linke um genau das alles hinzukriegen. Marx hat gesagt, Widersprüche sind die Triebkräfte der Entwicklung. Das müssen wir annehmen und vor allem nicht vergessen, was uns alles eint. Uns eint die Überzeugung um eine bessere Zukunft, um eine sozialistische Zukunft. Wir wissen auch, welche Kämpfe das erfordert und deswegen brauchen wir Radikalität im Denken und in der Haltung und weniger in der Phrase – Gemeinsamkeiten und Engagement, das bringt uns nach vorne.

Es wurde mehrfach schon auf dem Parteitag betont, aber ja, 2019 ist ein Schlüsseljahr für uns. Da sind die Europawahlen und die 4 Landtagswahlen. Ich will besonders darauf hinweisen, dass wir in diesem Jahr auch ganz viele Kommunalwahlen haben, dass wir Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen haben. Das ist eine Chance für uns zu zeigen, dass die Kommunalpolitik immer noch das Prunkstück unserer Politik ist. Ich will mich ausdrücklich bei den vielen Tausenden Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern bedanken, die Herzblut investieren, damit wir vor Ort verankert bleiben. Das ist das große Plus unserer Politik. Bei den Wahlen ist unser Ausgangspunkt in allen Ländern gut. Wir haben als Erstes die Landtagswahl in Bremen. Wir haben eine tolle Spitzenkandidatin mit Kristina Vogt. Wir werden vermutlich das erste Mal zweistellig. Wir werden auch dort so engagiert reingehen, dass Bremen nicht in die Hände der Union kommt. Wir haben eine hervorragende Ausgangsposition. In Sachsen stehen wir mit Rico Gebhardt für ein anderes Sachsen, die wirkliche Alternative für dieses Bundesland. In Brandenburg haben wir gerade das Parité-Gesetz auf den Weg gebracht. Darauf können wir doch stolz sein. Hier war Brandenburg doch auch mal Vorreiter in der Politik, das ist doch gar nicht so schlecht.

Und nicht zuletzt gibt es natürlich eine besondere Wahl in Thüringen. Thüringen ist ja nicht irgendetwas. Ich glaube, wir sind uns nicht immer bewusst, was ein Ministerpräsident für DIE LINKE bedeutet. Ich kann mich noch gut erinnern, wie das vor 5 Jahren war. In der Woche vor der Wahl war ich in zwei relativ großen Talkrunden und die hatten echt Sorge, wenn der Ramelow Ministerpräsident wird, dann werden als erstes die Bananen alle und später die Thüringer Bratwurst. Das Ergebnis ist allerdings ein völlig anderes. Thüringen steht wunderbar da. Bei aller Kritik, die es immer gibt, haben die Genossinnen und Genossen eine tolle Politik gemacht. Das müssen wir in den Wahlkämpfen deutlich sagen. Wir wollen den Ministerpräsidenten verteidigen. Das schafft nicht Bodo alleine, bei aller Beliebtheit, das schaffen die Thüringer nicht alleine. Das ist unser aller Auftrag. Wir wollen in Thüringen den Ministerpräsidenten auch am Ende des Jahres stellen.

Wir wissen, dass uns dabei nichts geschenkt wird. Das ist eine Herausforderung für die vielen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer an der Basis, aber auch für uns als Bundestagsfraktion. Dabei ist die Arbeit vor Ort das Wichtigste – nicht in geschlossenen Hallen sitzen, in Gremiensitzungen. Die Arbeit vor Ort wird das Entscheidende sein. Manche mögen uns nicht und ich weiß auch warum. Weil wir eine sozialistische Partei sind und weil wir eine andere Gesellschaft wollen. Das wollen die Herrschenden nicht. Das ist keine große Überraschung und das sollte uns auch nicht wundern.

Dieses Jahr wird auch für die Bundesregierung ein Schlüsseljahr. Das ist unbestritten. Die Regierung versucht nach den desaströsen Ergebnissen in Hessen und in Bayern jetzt ruhiger zu agieren, aber man muss klar sagen, dass ist eine Scheinbetriebsamkeit. Wo sie deutlich besser geworden sind, ist in der lyrischen Komponente, Starke-Familien-Gesetz, Gutes-Kita-Gesetz, aber wenn man hinter die Kulissen guckt, ist das alles nicht doll. Was ein richtiges Problem ist, dass sie in einigen Fragen richtig schnell agieren. Nehmen wir nur die Mandatsverlängerung der Bundeswehr. Das geht immer blitzschnell, möglichst ohne Debatte. Da sind sie ganz weite vorne.

Die Regierung hat für dieses Land keine Zukunft. Es ist die letzte Legislatur von Angela Merkel und man merkt es an jeder Stelle. Das ist genauso wie bei Helmut Kohl zum Schluss. Es ist im Wesentlichen Stillstand. Und das in einer Situation, wo wir in Europa und in der Welt einen Kulturkampf von rechts erleben. Dieser Kulturkampf von rechts ist leider erfolgreich, was man an Leuten wie Trump oder Bolsonaro oder auch Anderen sieht und der Kampfplatz, den es jetzt gibt, ist Europa. Die Formen der Auseinandersetzung, das sehen und spüren wir alle, brutalisieren sich sehr stark. Das sehen wir in der Sprache, aber auch in den Inhalten, in den politischen Vorhaben. Sie werden immer enthemmter. Es geht darum, die Werte der bürgerlichen Demokratie anzugreifen. Das ist es, was sie wollen. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Dann sind selbst wir Verteidiger der bürgerlichen Werte. Wir kommen aus einer Tradition, die immer antifaschistisch war, die immer antirassistisch war. Lucy hat vorhin auf den schönen Satz von Karl Marx hingewiesen. Wir stehen für eine Gesellschaft, wo alle Lebensweisen Akzeptanz haben.

Aber wir müssen auch gleichzeitig verstehen, was den Rechtspopulismus so massenwirksam gemacht hat: Verlustängste, Abstiegsängste – so konnten die Rechten Boden gewinnen. In Europa, das muss man klar aussprechen, gehört auch die Politik dazu, die Angela Merkel und Wolfgang Schäuble betrieben haben. Sie haben Griechenland erpresst. Sie haben dafür gesorgt, dass die Banken gerettet worden sind und Europa die Menschen verloren hat. Das heute so viele Menschen gegen Europa eingestellt sind, hat zentral mit der Politik von Merkel und Schäuble zu tun. Sie haben auf Haushalte geguckt und nicht auf Menschen.

Aber auch wir müssen natürlich selbstreflektiert sein. Haben wir uns vielleicht hin und wieder etwas stark im Kleinklein verheddert? Wer sich nicht selbst reflektiert, verliert. Wir müssen auch in dieser Frage versuchen Avantgarde zu sein. Die Konsequenz aus meiner Sicht ist, dass wir einen Dreiklang gegen Rechts betreiben müssen: Einmal konsequente Verteidigerin des Rechtsstaates zu sein. Freiheit und Gleichheit – ganz wichtig für uns. Zweitens soziale Offensive für alle. Und drittens Aufklärung und Bildung. Nicht zuletzt müssen wir vor allen Dingen Begeisterung ausstrahlen. Das wird das Entscheidende sein. Wir können nur die Menschen gewinnen, wenn wir selbst begeistert sind von unseren Ideen. Sie sind nunmal die Besten, das können wir auch zeigen. Dazu gehört natürlich auch, dass wir Elend nicht abwerten, das wir uns nicht über andere stellen, dass wir nicht herablassend sind. Nicht alle Menschen haben die perfekte Sprache und wissen, wie man argumentieren muss, so wie diejenigen, die Berufspolitiker sind.

In meinem Land Mecklenburg-Vorpommern habe ich nicht nur einmal gehört: Ihr sprecht nicht mehr unsere Sprache. Das muss uns nachdenklich machen. Keinerlei Arroganz in diese Richtung ist angemessen. Gemeinsam heißt im Übrigen immer auch, gemeinsam Ost und West, gemeinsam jung und alt, gemeinsam Männer und Frauen, gemeinsam schwarz und weiß. Das muss völlig klar sein. Zum Programm gegen Rechts gehört deswegen immer eine soziale Offensive. Es ist doch nicht zu viel verlangt, und wirklich keine Utopie, wenn wir bezahlbaren Wohnraum für alle, gute Kitas und gute Schulen, funktionierende Zuganbindungen und eine menschenwürdige Pflege fordern. Das sind doch keine utopischen Forderungen. Das ist im Hier und Heute realisierbar, wenn man richtige Politik macht. Wir müssen dabei vor allen Dingen zeigen, dass wir das, was wir von der Gesellschaft fordern auch leben. Solidarität, Vertrauen, Zusammenhalt, Sicherheit zuerst bei uns innerhalb der Partei bei allen Auseinandersetzungen. So wie eben gezeigt bei der Auseinandersetzung um das Thema Europa und die Einleitung des Europawahlprgramms. Ja, so streitet man miteinander. Wenn wir das hinkriegen, dann sind wir ein Beispiel dafür, wie wir uns eine andere Gesellschaft vorstellen.

Nun zum Thema Frieden und INF-Vertrag und was das bedeutet. Das ist im Kern der Versuch die Nachkriegsordnung in Frage zu stellen. Es geht darum, eine neue Weltordnung zu schaffen. America First das heißt für Trump nichts anderes, als dass ihm die Anderen egal sind. Das ist der Kern. Das ist die Substanz. Mit Trump Politik zu machen, das ist wie mit einer Taube Schach zu spielen, du verlierst immer, weil die Taube zum Schluss alles umkippt. Aber wer Politik mit Twitter macht – das ist nicht normal. Das ist leider die Situation: der vermeintlich mächtigste Mann agiert genau so. Da würde ich mir eine andere Rolle Deutschlands wünschen. Wenn es um ökonomische Macht geht, da sind wir immer ganz weit vorn, wenn es um die Zölle auf Autos geht, da ist Angela Merkel vortrefflich engagiert. Aber wir sollten mal weit vorn sein, wenn es um Entspannungspolitik geht, wenn es um Abrüstung geht, das wäre doch mal gut. Warum ist Deutschland hier kein Vorreiter? Für DIE LINKE bleibt die Maxime von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen. Das ist für uns der richtige Ansatz.

Die EU ist in einem desolaten Zustand, sie ist in der größten Krise, die wir je gehabt haben. Es ist schlimmer als vor 5 Jahren. Deswegen ist auch wahr, dass die EU eine militaristische Komponente hat. Natürlich ist sie neoliberal, das sehen wir alle. Das Ergebnis ihrer Politik ist beispielsweise die verheerende Jugendarbeitslosigkeit in den Südländern. Auch der Brexit ist ein exemplarischer Ausdruck dieser Politik. Aber auch die weiterhin vorhandene Finanzkrise, die überhaupt nicht bewältigt wurde, ist ein Beispiel und auch das Versagen der europäischen Union bei der Flüchtlingskrise gehört dazu. Die Rechten wollen sich Europa unter den Nagel reißen. Das Schlimme ist, sie sind damit partiell erfolgreich. Salvini, Le Pen, Orban, Kaczynski, die FPÖ, wie sie alle heißen. Deswegen ist im Kern die Frage für oder gegen Europa unerheblich. Die Rechten wollen ein autoritäres und kapitalistisches Europa. Wir aber wollen ein friedliches, demokratisches und soziales Europa. Das ist die klare Alternative, um die gestritten wird. Ich will auch noch einmal darauf verweisen, die Arbeiterbewegung war seit dem Kommunistischen Manifest immer international. Der Kampf der Frauen um ihre Rechte, der Kampf der Friedensbewegung, selbst der Kampf der Bürgerbewegungen in den ehemals sozialistischen Ländern, waren immer europäische Kämpfe und keine nationalen Kämpfe. Menschenrechte sind und bleiben unteilbar und wir kämpfen darum, dass sie überall gelten.

In der letzten Woche war der Gesamtbetriebsrat von Unilever und der Konzernbetriebsrat von Nestlé in der Bundestagsfraktion zu Gast. Susi Ferschel hat sie dankenswerter Weise zu uns geholt. Sie haben uns gesagt, dass es vor allen Dingen darauf ankommt, dass nicht die Werktätigen aus Portugal und Griechenland gegen Werktätige bei uns ausgespielt werden, es geht um die Herstellung von Solidarität. Das fordern Konzernbetriebsräte, weil sie sehen, was in der Praxis passiert, dass Konzerne genau das tun.

Die Situation ist schwierig, aber genau in dieser Situation haben wir als Linke, als Sozialistinnen und Sozialisten, immer auch eine Chance. Die gute Nachricht nämlich ist: der Neoliberalismus ist keine Selbstverständlichkeit mehr und wir können einen Beitrag leisten, dass sich die Zeichen auf Links drehen. In einem Epochenbruch ist es immer auch möglich, dass linke und sozialistische Kräfte Chancen bekommen und verändern können. Schaut mal, was die Genossinnen und Genossen in Berlin in der Wohnungspolitik machen. Das ist mit Widerständen verbunden, aber sie haben Wohnungen zurück erkämpft und es wird über Verstaatlichung geredet. Das ist so ein relevanter Schritt, den dürfen wir nicht klein reden. Wir wollen Veränderung und hier ist sie ganz konkret. Der Moment für uns ist gekommen. Es gilt: Vielfalt in der Einheit, Pragmatismus und Radikalität, aber auch konkrete Machtoptionen, um verändern zu können.

Wir hatten im vergangenen Jahr ein Jahr mit relativ viel Streit, aber, ehrlich gesagt, in unserer Bewegung gab es wirklich harte Zeiten – die haben wir alle noch nicht erlebt. In diesem Jahr hat sich der 100. Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gejährt und manchmal sollten wir uns auch bewusst machen, dass wir genau in dieser Tradition stehen. Deshalb ganz klar, wir lassen uns nicht klein kriegen, wir kämpfen für das, woran wir glauben.

Wir haben wieder begonnen, besser miteinander zu reden, gemeinsam zu agieren und das kann erst ein Anfang sein. Wir können wieder auf die Erfolgsspur kommen. Ja, wir müssen wieder auf die Erfolgsspur kommen. Wir haben eine Verantwortung, uns nicht zu verlieren in kleinteiligem Streit um irgendeinen Millimeter innerparteilichen Raumgewinns. Unsere politischen Konkurrenten und Gegner sind zahlreich, mit denen setzen wir uns auseinander nach diesem Parteitag, nach den anstehenden Entscheidungen, mit aller Kraft. Herzlichen Dank.