Menschenrechte

Weil am 10. Dezember 1948, also vor fast 70 Jahren, von der UN-Generalversammlung die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet wurde, wird dieser Tag als Tag der Menschenrechte begangen.
Was sind überhaupt Menschenrechte?

Der Begriff bildete sich bereits in der englischen Aufklärung heraus. Die politische Philosophie von Thomas Hobbes, die den politisch-philosophischen Diskurs der Moderne eröffnete und bis heute immer noch mitprägt, hatte ein widersprüchliches Moment: Die Bürger verzichten im Rahmen eines Abtretungsvertrags auf ihr Recht zur Gewaltausübung zu Gunsten des Leviathans, des Staates. Dadurch wird dieser zur Herrschaftsmacht mit Gewaltmonopol. So vermag er, den Rechtsfrieden zu stiften. Da jedoch der Staat nicht selbst Vertragspartei im Abtretungsvertrag ist, unterliegt er keinen Pflichten. Das, was ihn legitimieren soll, die Erzeugung einer Rechtsordnung, bindet ihn nicht.

Die liberale Aufklärung versuchte dieses Problem dadurch zu lösen, dass sie Rechte postulierte, die bereits vor jeder staatlichen Rechtsordnung und völlig unabhängig von dieser gelten. Legitim ist staatliches Handeln, die Erzeugung staatlichen Rechts eingeschlossen, in dieser Sichtweise dann, wenn der Staat sich an diese postulierten Rechte hält, sie stärker zur Geltung bringt, sie zumindest nicht untergräbt.

Menschenrechte sind in dieser Sichtweise ein Maß, das an Rechtsordnungen zu deren Beurteilung angelegt werden kann: Eine vernünftige Rechtsordnung verwirklicht die Idee der Menschenrechte, eine unvernünftige verfehlt sie. Hier wird bereits deutlich, dass wirkliches Recht sich nicht nur in bloßer Gesetzlichkeit erschöpfen kann. Als Maßstab tatsächlichen, also auch räumlich begrenzten Rechts, müssten sie Geltung unabhängig vom konkreten Territorium konkreter Rechtswesen haben. Das ist das Prinzip der universellen Geltung.

Zugleich werden Menschenrechte als individuelle Rechte aufgefasst. Jedem einzelnen Menschen stehen diese Rechte zu. Diese Ansprüche gegenüber dem jeweiligen Staat einzulösen, erfordert mehr als Appelle. Dazu ist erforderlich, dass der Staat diese Rechte anerkennt. Praktisch erfolgt das dadurch, dass er sie in staatliches Recht ummünzt. Dazu gibt es zwei Wege. Der erste Weg ist die Formulierung von einklagbaren Grundrechten in Verfassungen. Es ist notwendig, diese Grundrechte zu formulieren, aber ebenso ist es notwendig, sie vor ordentlichen Gerichten einklagen zu können. Fehlt letzteres, haben wir eine Situation wie in der DDR, wo verfassungsmäßig verbriefte Rechte kaum Wirksamkeit entfalten konnten, weil sie im Zweifelsfall nicht gegen den Staat durchgesetzt werden konnten. Ein anderer Weg der Positivierung von Menschenrechten besteht darin, internationale Abkommen durch Ratifikationsgesetze in innerstaatlich geltendes Recht zu übertragen.

Neben den Charakteristika der universellen Geltung und der individuellen Einklagbarkeit wird häufig auch von der Unteilbarkeit gesprochen. Diese Formulierung erschließt sich vor dem Hintergrund, dass es verschiedene Typen von Menschenrechten gibt, etwa bürgerliche (z.B. Recht auf Eigentum, Religions- und Meinungsfreiheit) und soziale (Streikrecht, Koalitionsfreiheit, Recht auf angemessenen Lohn). Das Unteilbarkeitstheorem besagt im Kern, dass man diese Typen nicht gegeneinander in Stellung bringen kann, sondern dass sie sich wechselseitig bedingen. Neben den einklagbaren Menschenrechten gibt es noch Staatsziele. Ein Klassiker ist hier das Recht auf Arbeit. Im Kapitalismus gibt es kein einklagbares Recht auf Arbeit. Aber der Staat kann sich verpflichten, alles in seiner Macht stehende zu tun, um die Möglichkeit zu schaffen, dass jede/r, der arbeiten will, dies auch kann.

Völkerrecht und Menschenrechte

Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, ob die Staatensouveränität im Interesse eines universellen Menschenrechtsschutzes relativiert werden muss. So allgemein gestellt, würde ich diese Frage natürlich bejahen. Aber konkret kann das auch problematisch werden. Es reicht für einen Staat oder ein Militärbündnis nicht aus, „Menschrechte!“ zu rufen, um sich selbst zu ermächtigen, in einem anderen Land einzumarschieren.

Freilich war die Zerschlagung des Pol-Pot-Regimes durch den Einmarsch vietnamesischer Truppen in Kambodscha eine Befreiung. Ein Viertel der Bevölkerung war dem Terror der Roten Khmer bereits zum Opfer gefallen. Aber hier zeigt sich eben auch, dass nicht jede Menschenrechtsverletzung die Dimensionen Pol-Pot-Terrors hat. Genau hier liegt das Problem einer Auffassung, die glaubt, unter Berufung auf Menschenrechte militärisch in andere Staaten intervenieren zu dürfen. Sie stellt die Idee der Menschenrechte über das Völkerrecht. Heute ist jedoch ein Großteil völkerrechtlicher Abkommen selbst der Explikation der Idee der Menschenrechte. Aus einem vermeintlichen Konflikt zwischen Menschenrechten und Völkerrechtsprinzipien wird ein Konflikt innerhalb des Völkerrechts. So ist dieser Konflikt dann aber auch zu behandeln: durch Verfahren, nicht durch Selbstermächtigung.

Gelten Menschenrechte für alle Menschen?
Die Geschichte der Menschenrechte, der Demokratie übrigens auch, ist immer auch als ein Kampf beschreibbar, in der Ausgeschlossene um Einschließung kämpften. Haben Frauen Menschenrechte? Lange Zeit sah es nicht so aus. Das Wahlrecht, ökonomische Rechte usw. standen nur Männern zu. Auch das Recht auf Bildung war lange Zeit eingeschränkt. Aber auch nicht alle Männer kamen in den Genuss des freien Gebrauchs der Menschenrechte. Die englischen Aufklärer dachten nur an sich selbst, an vermögende Weiße des globalen Nordens, nicht an Frauen, nicht an Arbeiter, nicht an die kolonisierten Völker, nicht an die Sklaven, mit denen schwungvoller Handel getrieben wurde. Insofern haben wir heute eine andere Situation. Gleichwohl bleiben nach wie vor viele Aufgaben zu lösen. Um nur ein Beispiel zu bringen: Auch illegal in Deutschland lebende Menschen haben Anspruch auf die Gewährleistung grundlegender Rechte: Dazu gehören der Zugang zur Bildung, wenigstens für Kinder, der Zugang zur Gesundheitsversorgung und der Zugang zur Gerichtsbarkeit, etwa um Lohn einklagen zu können. Die Frage, wie das organisiert werden kann, ohne dass diese Menschen Angst vor der Polizei haben müssen, ist offen und wird lebhaft diskutiert. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass es noch immer Ausgeschlossene gibt, für deren Rechte wir eintreten sollten.