Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen und Kindern – „Wir brechen das Schweigen“

Es sind viele Mails, die mich täglich erreichen. Ich versuche, alle zu lesen. Kürzlich erregte eine Mail meine besondere Aufmerksamkeit. Sie trug den Titel: „Wir brechen das Schweigen“ und kam vom Hilfetelefon für von Gewalt betroffenen Frauen. Mir ist die erschreckende Tatsache bekannt, dass jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt erfährt. Viele von ihnen mehrfach. Die meiste Gewalt findet im sogenannten „sozialen Nahraum“ statt. Zu Hause. Hinter verschlossenen Türen. Im eigentlichen Schutzraum für jeden Menschen. Jede dritte Frau. Eine schier unvorstellbare Zahl! Ich frage mich, was ist der Grund dafür? Was bewegt einen Mann dazu, einer Frau in dieser Weise zu „begegnen“, sie an Körper und Seele zu verletzen? Eine Antwort darauf gibt es für mich nicht.

Ich danke den Akteur/innen des Hilfetelefons, dass sie mit ihrer Aktion auf das Problem aufmerksam machen! Dank an alle, die diese Aktion unterstützen! Ich tue das auch. Es ist das eine, was Politik und Staat an Schutzmaßnahmen bieten und das andere, was Personen des öffentlichen Lebens auch in ihrer Vorbildfunktion tun, um dieser Form von Gewalt öffentlich Einhalt zu bieten.
Ich weiß, dass viele meiner Kolleginnen in der Bundestagsfraktion, aber auch in den Landtagsfraktionen und in den Kommunen im engen Kontakt mit Beratungsstellen und Frauenschutzhäusern stehen. Sie kennen die konkreten Probleme und Bedarfe. Sie wissen, wie schwer es ist, immer wieder die finanziellen Mittel zum Erhalt der Angebote aufrecht zu erhalten und auf Spendensuche für Mobiliar, Waschmaschinen, Spielsachen und Kleidung zu gehen. Sie kennen den Frust und die Trauer bei den Mitarbeiterinnen, wenn Frauen trotz Beratung wieder von Gewalt betroffen sind und zu ihnen zurückkommen. Sie wissen auch, wie oft die mitbetroffenen Kinder „unter den Tisch fallen“, weil keine Betreuung und keine Psychologinnen für sie vorhanden sind. Sie wissen, was passiert, wenn der Gewaltkreislauf nicht durchbrochen wird: dass aus den Kindern der betroffenen Frauen in der Zukunft oder schon jetzt Opfer und Täter werden. Es sind manchmal bereits die nächsten Generationen in den Frauenschutzhäusern anzutreffen. Das kann passieren, wenn sich niemand um die mit betroffenen Kinder kümmert!
Als Fraktion haben wir gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen in der vergangenen Wahlperiode ein Fachgespräch zur Situation der Frauenschutzhäuser in Deutschland mit dem Ziel eines Bundesfrauenhausfinanzierungsgesetzes durchgeführt. Bisher leider erfolglos. Doch wir bleiben dran!

Ein bundesweites Frauenhausfinanzierungsgesetz wäre ein wesentlicher Beitrag des Bundes in Umsetzung der Istanbul-Konvention. Die Konvention ist das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Deutschland ist der Konvention mit der entsprechenden Erklärung am 12. Oktober 2017 beigetreten. Seit Februar 2018 ist die Konvention für unser Land rechtsbindend. Bindend für den Gesetzgeber, die Gerichte und die Strafverfolgungsbehörden. Es sollen Maßnahmen getroffen werden, die Betroffene vor Gewalt zu schützen und zugleich ein Beitrag zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau geleistet werden. Dabei geht es um körperliche, seelische und sexuelle Formen der Gewalt. Dies betrifft auch den sozialen Nahraum und die sogenannte „häusliche Gewalt“. Häusliche Gewalt ist kein „Kavaliersdelikt“ und darf auch nicht im Verborgenen der Privatsphäre bleiben.

Jährlich veröffentlicht das Bundeskriminalamt anlässlich des Gedenktages am 25. November eine Statistik über „Partnerschaftsgewalt“. Seit dem Jahr 2010 ist die Zahl der Opfer in den Straftatenbereichen Mord und Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Bedrohung und Stalking innerhalb von Partnerschaften um 10,2 % gestiegen. Wir sprechen im Jahr 2016 von unfassbaren 133.080 Opfern. Die Mehrzahl der Opfer, nämlich vier Fünftel, sind weiblich. Daher ist es absolut berechtigt, dass dieser Gedenktag den weiblichen Opfern gewidmet ist. Wichtig erscheint mir festzustellen, dass diese Zahlen ausschließlich dem „Hellfeld“ zuzuordnen sind. Wir wissen nicht, wie viele Frauen, darunter auch behinderte Frauen und Mädchen darüber hinaus von Gewalt im sozialen Nahraum betroffen sind. Deshalb müssen wir alle hinschauen. In unseren Familien, in unseren Freundeskreisen, in unserem „sozialen Nahraum“. Es sind noch immer Scham und Angst, die Frauen und Mädchen davon abhalten, sich Hilfe zu suchen und damit aus der Gewaltspirale auszubrechen. Doch sie sind die Opfer.

Es ist aus meiner Sicht ein Fehler, dass seitens der Staatsanwaltschaften regelmäßig entsprechende Strafverfahren eingestellt werden und auf den Privatklageweg verwiesen wird. Damit lassen wir betroffene Frauen allein. Gewalt ist aber niemals Privatsache. Die Debatte „Nein heißt Nein!“ war ein wichtiger Schritt zu mehr Respekt und Hilfe gegenüber den Opfern. Es müssen weitere Schritte folgen!

Wenn es Deutschland ernst mit der Umsetzung der Istanbul-Konvention meint, müssen Taten folgen. Einige habe ich benannt. Weitere müssen in Zusammenarbeit mit den Ländern und den Kommunen hinzukommen. Es reicht nicht, einmal im Jahr am „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Kindern“ auf dieses Problem hinzuweisen. Es muss in die Tagespolitik Einzug halten. „Wir brechen das Schweigen!“ Ich schließe meine Kolumne heute mit dem treffenden Slogan von „Terres des femmes“: „Frauenrechte sind Menschenrechte! Wir setzen uns ein für eine gerechte Welt, in der Mädchen und Frauen das Recht haben, selbstbestimmt, frei und in Würde zu leben.“ DIE LINKE ist dabei.