Die Sowohl-als-auch-Kanzlerin

Die Ankündigung, dass sich Angela Merkel nach 18 Jahren vom Vorsitz der CDU zurückziehen wird, war das bedeutendste politische Ereignis dieser Woche. Der Schritt, den Parteivorsitz der CDU aufzugeben, die Kanzlerschaft bis zum Jahr 2021 allerdings behalten zu wollen, ist höchst bemerkenswert. Als der damalige Kanzler Schröder im Jahr 2004 den Parteivorsitz der SPD an Franz Müntefering abgab, war Angela Merkel eindeutig. Sie kommentierte diesen Schritt als „Autoritätsverlust auf ganzer Linie“ und als „Anfang vom Ende von Rot-Grün und der Anfang vom Ende von Kanzler Gerhard Schröder.“ (http://www.faz.net/aktuell/politik/schroeder-gibt-parteivorsitz-ab-1143846.html). Das sollte sich letztlich bewahrheiten. Auch später betonte sie immer und immer wieder, dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz für sie zwingend zusammengehörten, zuletzt kurz vor der Landtagswahl in Hessen. Wie passt das zusammen? In gewisser Weise bleibt sie sich damit sogar treu.
Die Erzählung ist entscheidend. Sie wird durch die äußeren Umstände zum Rückzug gedrängt. Sie suggeriert damit, das Heft des Handelns in der Hand zu haben. Als Kanzlerin soll 2021 Schluss sein. Anders als bei Schröder, der die Übergabe des Vorsitzes an Müntefering als Chance auf weitere 4 Jahre Kanzlerschaft für sich einschätzte. Wir erinnern uns, die SPD war mit der unsäglichen Agenda-2010-Politik vor der Zerreißprobe. Die Abfederung der Kritik von SPD Basis und Wählerschaft durch mehr Schultern, war damals kein völlig abwegiger Gedanke. Ich gestehe, dass nach den Jahren der Schröderschen Selbstüberschätzung, tonal wie politisch, die besonnene Ansprache von Merkel auch bei mir an einigen Stellen als wohltuender empfunden wurde. Nicht umsonst hat sie ihren Wahlkreis in Vorpommern seit 1990 immer haushoch gewonnen. Eine Gefahr droht allerdings, wenn das zum alleinigen Merkmal der eigenen Politik wird: Wenn man eine Kanzlerschaft als Sowohl-als-auch begreift, sich mit einigen wenigen Ausnahmen nicht bekennt, das Abmoderieren von Problemen mehr Kraft und Zeit in Anspruch nimmt, als diese zu lösen, dann wachsen die Probleme.

Wir erinnern uns erneut. Sie ist die erste Frau in diesem wichtigen Amt. Sie ist aber nie durch besonderes Engagement für Gleichstellung und Gleichberechtigung in Erscheinung getreten. Sie ist eine Kanzlerin, die aus den neuen Bundesländern kommt. Gleichzeitig räumte sie dem Osten nie eine politische Priorität ein, wie sich, um nur ein Beispiel zu nennen, bei der Kabinettsbildung Anfang des Jahres zeigte. Ein einzelnes Feigenblatt an der Spitze bringt wenig, wenn es um die spezifischen Probleme des Ostens geht. Sie trifft 2015 eine humanistisch geleitete Grundsatzentscheidung in der Flüchtlingspolitik, lässt dann aber Länder und Kommunen im Regen stehen. „Wir schaffen das“ mutierte von der entschlossenen Ansage zum bloßen Versprechen. Sie lässt den Gesprächsfaden zu Putin nie abreißen und forciert zugleich eine harte Sanktionspolitik – nicht zuletzt zu Lasten der ostdeutschen Wirtschaft und Landwirtschaft. Im Ukraine-Konflikt zündelt, besänftigt und moderiert sie. Sie inszeniert sich als Europäerin und knebelt die Partner im Süden. Sie erklärt ambitionierte Klimaziele, um sie später kleinlaut wieder zu kassieren. Wieder und wieder betont sie die vermeintliche Alternativlosigkeit ihrer Politik und laviert so lange, bis am rechten Rand krude Alternativen das Licht der Welt erblicken. Die politische Bilanz ihrer Kanzlerschaft ist bis heute durchwachsen und widersprüchlich. Ob sie bis 2021 weitermacht, sehe ich nicht, falsch wäre es zudem. Was ich aber erwarte und was darüber hinaus jeder Bürger und jede Bürgerin dieses Landes erwarten kann, ist, dass es nun keine weitere monatelange politische Hängepartie gibt, wie bei den Jamaika-Verhandlungen zu Beginn des Jahres. Hier ist sie in der Pflicht.