Beziehungen mit Russland 

Vom 1. bis zum 9. Oktober hielt ich mich im Rahmen einer Reise der Fraktionsvorsitzendenkonferenz in Wolgograd und Moskau auf. Wir nahmen an diversen Veranstaltungen teil und hatten interessante Begegnungen. Selbstverständlich kann und will ich hier keinen umfangreichen Reisebericht vorlegen, denn hier wird eine Kolumne geschrieben. Die Menschen, die wir trafen, waren Politikerinnen und Politiker sowie Akteure der Zivilgesellschaft. Um mit einem Vorurteil aufzuräumen: Auch wenn es im „Westen“ andere Vorstellungen davon gibt, was Zivilgesellschaft sei: Russland hat eine reiche Landschaft zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Wolgograd haben wir für unseren Besuch ausgewählt, weil die Schlacht um Stalingrad sich in diesem Jahr zum 75. Mal jährt. Wenn man nach Wolgograd fährt, kann man sich den Nachwirkungen dieser Schlacht nicht entziehen. Sie prägt vieles. Dabei habe ich keineswegs nur die Gedächtniskultur im Auge, die für sich schon sehr beeindruckend ist. Ich habe zuweilen den Gedanken, dass jeder und jede Abgeordnete des Deutschen Bundestags wenigstens einmal den Marmajew-Hügel in Wolgograd besucht haben sollte, einfach um das Geschichtsbewusstsein zu schärfen. Es gibt das Klischee von der „russischen Seele“. Tatsächlich gibt es eine russsische Kultur, Bilder von sich selbst und von anderen Gesellschaften. Die russische Kultur ist auch tief geprägt vom 2. Weltkrieg, der in Russland „Großer Vaterländischer Krieg“ heißt. Die Nachwirkungen dieses fürchterlichen Ereignisses spürt man auch in dem Bemühen, ähnliches wie diesen Krieg nicht mehr zulassen zu wollen.

Es gibt in Wolgograd ein inzwischen zur Tradition gewordenes Wolgograder „Forum an der Wolga“, eine internationale Konferenz, die sich einer Idee der „Bürgerdiplomatie“ verpflichtet fühlt. Der Gedanke ist einfach. Diplomatie, die immer besser ist als Krieg, ist so wichtig, dass man sie nicht nur den Regierungen überlassen darf. In der Tat: Es gibt vielfältige Programme des Austauschs zwischen den USA und Deutschlands, es gibt Programme des Austauschs innerhalb der EU, und weshalb sollten analoge Programme bzgl. Russland nicht ausgebaut und intensiviert werden?

Interessenkonflikte gibt es und wird es immer geben. Die entscheidende Frage ist aber, wie man damit umgeht. Sind Lösungen möglich oder reagiert man konfrontativ, immer hoffend, dass der point of no return nicht überschritten wird? Um lösungsorientiert mit Konflikten umzugehen, ist es nicht nötig, den „Putin-Versteher“ zu geben. Es ist aber nötig, überhaupt etwas zu verstehen. Dazu gehört, dass Russland nicht der einzige Staat auf der Welt ist, der Interessen verfolgt. Das tun die USA, das tut die EU und das tut auch Deutschland. Nur wird das gern maskiert mit der Ideologie der „westlichen Werte“. Darf nur der seine Interessen ungestört verfolgen, der „westliche Werte“ vertritt? Das ist ein Denken, das noch aus der Ära des Kolonialismus stammt. Genauso gut könnten russische Politiker auch auftreten: Wir haben eine Art zu denken, und deshalb dürfen wir ungestört unsere Interessen verfolgen. Ich glaube, da wäre hierzulande ganz schön was los! Deshalb ist es nötig, sich auch in den Gegenüber hineinversetzen zu können. Ohne Empathie läuft es nicht.

Auch in Moskau gab es interessante Gespräche, u.a. mit dem deutschen Botschafter. Es ist üblich, dass Politiker von der Botschaft ein politisches Briefing erhalten. Das verlief diesmal recht kontrovers, aber auch produktiv. Außerdem trafen wir Vertreter der Partei „Gerechtes Russland“, der Kommunistischen Partei sowie Vertreter diverser zivilgesellschaftlicher Organisationen. Viel wäre da noch aufzuzählen. Etscheidend ist, dass wir im Gespräch bleiben. Die Beziehungen zwischen unseren Gesellschaften müssen vertieft werden, damit sich die Beziehungen unserer Staaten bessern können.