Sommer, Sonne, Sozialismus

Wie habe ich mich auf diese Tage gefreut! Im vergangenen Jahr fielen die Sommerferien dem Wahlkampf zum Opfer und seither hatte ich wenige freie Abende oder Wochenenden ohne Termine. Nein, ich will mich nicht beklagen. Mich hat niemand in die Politik gezwungen und als Bundestagsabgeordneter wird man vernünftig entlohnt. Aber natürlich schlaucht solch ein Leben ungemein und irgendwann sagen einem Kopf und Körper, dass es reicht. Eine Freiheit stimmt mich besonders froh: Ich kann jetzt über mein Tun und Lassen selbst bestimmen, keine – selbstverständlich hoch geschätzten! – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter legen Wochen- oder Tagespläne vor und setzen mich in Autos, Bahnen oder Flugzeuge.  

Ich habe das große Glück, dort zu Hause zu sein, wo andere Urlaub machen. So verbringe ich die ersten Ferientage auf dem Darß an der Ostsee. Neben Sonnenschein und kühlem Nass habe ich dort eine Reihe guter Freunde und schlechten Netz-Empfang, mithin beste Bedingungen für ruhige Tage. Sicher wird sich manche Doppelkopf-Runde ergeben und beim Beachvolleyball werde ich altersgerechten Einsatz zeigen und die Erkenntnis vertiefen, dass ich eben keine 59 mehr bin. Dann geht es ein paar Tage nach Spanien, wo ich es genießen werde, nicht an jeder Würstchenbude gefragt zu werden, warum sich nicht alle in der LINKEN lieb haben.

Im Reisegepäck habe ich die neue Marx-Biografie von Jürgen Neffe, die mich auch deshalb interessiert, weil der Autor neue Sichten auf den Alten aus Trier verspricht, von dem er während der Arbeit am Buch viel gelernt habe. Für ihn, so Neffe, sei die Finanzkrise 2008 der Anlass gewesen, sich wieder für Marx zu interessieren. Ich selbst habe als studierter Ökonom das Kapital wieder und wieder – und zugegebenermaßen nicht immer mit Begeisterung – gelesen und halte mich für einen leidlich guten Marx-Kenner. Doch dürfte an diesem und in seinem Werk immer wieder Neues zu finden sein und neue Generationen werden ihn für sich auf ihre Weise entdecken. Dazu hat übrigens auch der Film „Der junge Karl Marx“ einen großartigen Beitrag geliefert.

Vielleicht schaffe ich es ja auch noch, Frank Schätzings „Die Tyrannei des Schmetterlings“ zu lesen, wenngleich mich ein Kollege warnte, die 736 Seiten seien doch ein ziemlich verschwurbelter Schinken. Aber einerseits habe ich Schätzings „Der Schwarm“ oder „Limit“ durchaus mit Gewinn geschmökert und andererseits bin ich sehr daran interessiert, was Literaten zu Entwicklungen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz oder Gentechnik zu sagen haben. Dave Eggers „Der Circle“ etwa hat mich gleichermaßen begeistert wie betroffen gemacht.

Aber, wie gesagt: Lust, Laune und Wetterlage diktieren jetzt meinen Tagesablauf. Ganz sicher finde ich die Muße, mir in Stadt und Land einiges anzuschauen. Das Verrückte in meinem Beruf ist nämlich, dass man unheimlich viel herumkommt, ohne tatsächlich etwas zu sehen zu bekommen. Vermutlich würde ich deutsche Städte eher an Tagungsgebäuden, denn an Sehenswürdigkeiten erkennen. Aber „Wetten, dass…?“ gibt’s ja auch nicht mehr. Doch jetzt ist alles ganz anders, es lebe das süße Leben! Die nächste Sitzungsperiode und die Landtagswahlen in Hessen und Bayern sind noch soooo weit weg…