Chaos-Tage im Reichstag

Die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause stand unter dem Zeichen des Haushalts 2018. Traditionell reden aus diesem Anlass beim so genannten Kanzler-Etat die Fraktionsvorsitzenden in der Generaldebatte. Hinzu kommt, dass die Redezeit fast 20 Minuten vorsieht – andere Redezeiten sind im Bundestag deutlich kürzer. Es geht in der Generaldebatte aber auch nicht nur um den Haushalt, sondern ist Gelegenheit für die Generalabrechnung mit der Politik der Bundesregierung.

Reichlich ungewöhnlich, erst im Juli 2018 den Haushalt für 2018 zu beschließen, ist es allemal. Bei dieser Regierung und Koalition ist derzeit alles möglich. Nicht mal 100 Tage hat es die schwarz-rote Koalition geschafft, ohne schwere Krise zu überstehen. Nach dem Jamaika-Desaster und den ewigen Koalitionsverhandlungen hatte ich gehofft, dass es nun wenig geordneter zugeht. Aber stattdessen wurde eine schwere Regierungskrise ausgelöst, die viele Menschen verunsichert.

Vor 3 Wochen unterbrach die Union die Bundestagssitzung, um in getrennten Sitzungen von CDU und CSU zu tagen. Der Masterplan Migration – der dem Parlament und selbst großen Teilen der Union zu dem Zeitpunkt nicht vorlag – löste einen Machtkampf zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer aus. In der Sache war der Streit nicht sonderlich groß, aber der Kampf um Macht und Recht behalten dafür umso größer.

Obwohl ich selbst seit langer Zeit Politik mache, habe ich sowas noch nicht erlebt. Ich habe das bei Konservativen auch nicht für möglich gehalten. Aber die letzten Wochen haben mich eines besseren belehrt. Das C in CDU/CSU steht offenbar für Chaos.

Auf der Fraktionsebene, die sich im Reichstag im dritten Stock befindet, ging es an jenem Donnerstag vor drei Wochen hoch her. Alle Fraktionen haben ihre Sitzungsräume auf der Fraktionsebene. Die LINKE hat ihren Clara-Zetkin-Saal in einem der Türme, unter der Europaflagge, und neben dem Otto-Wels-Saal der SPD. Normalerweise ist die Ebene während der Plenarsitzungen leer – logisch, es sind ja viele im Plenum. Aber normal war an diesem Tag wenig. Überall tummelten sich Kameras und dahinter Journalisten und Journalistinnen, viele Abgeordnete, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von allen Fraktionen waren da.

Im Laufe des Tages wurden die Fragen zahlreich. Zerbricht die Union? Entlässt Merkel Seehofer? Stellt sie die Vertrauensfrage? Was steht in dem Masterplan Migration, dem Merkel in 62,5 von 63 Punkten zustimmt? Warum wird er dem Parlament nicht vorgelegt?

Der Streit wurde vertagt. Angela Merkel wollte mit den europäischen Partnern um eine gemeinsame Lösung ringen. Die Ergebnisse des EU-Gipfels letzte Woche waren zutiefst inhuman. Abschottung, Militarisierung und Internierungslager wurden vereinbart. Trotzdem reichten diese Ergebnisse Horst Seehofer nicht und die nächste Krise zwischen Angela Merkel und ihm folgte.

Der Rücktritt von Horst Seehofer stand im Raum. Dann der Rücktritt vom Rücktritt. In dieser unübersichtlichen Situation war es eine Herausforderung, diese Rede in der Haushaltsdebatte vorzubereiten. Erst am Mittwochmorgen war wirklich klar, welche politische Situation ich zu kommentieren hatte. Am Ende war Horst Seehofer während der Debatte anwesend und wurde auch von mir deutlich für dieses unwürdige Schmierentheater kritisiert. Auch wenn es an seinem 69. Geburtstag war …