Endspiel

Vor 100 Tagen wurde Kanzlerin Merkel im Bundestag vereidigt. Eine Schonfrist kann sie am Beginn ihrer vierten Amtszeit nicht einklagen. Die Bilanz ist mehr als dürftig. Die Wirtschaft boomt (noch), doch die Politik der Bundesregierung spaltet die Gesellschaft und schürt Ängste. Statt sich um Wohnungsnot und explodierende Mieten, Kinder- und Altersarmut, Rückstände in Bildung und Digitalisierung zu kümmern, streiten die Unionsparteien wie die Kesselflicker und führen dann Therapiegespräche. Kanzlerin und Innenminister fechten ein machtpolitisches Endspiel aus, das niemand gewinnen wird. Seit der Bundestagswahl vom 24. September 2017 erlebt das Land Chaostage der Union. Die Regierenden verspielen jegliche Glaubwürdigkeit und wie zum Hohn beschließen die Koalitionsparteien im Bundestag dann noch eine Aufstockung der Parteienfinanzierung. Merken die denn gar nichts mehr?

Niemand kann ernsthaft behaupten, dass in unserem Land ein einziger Bedürftiger wegen der Geflüchteten weniger bekommen hat. Es ist an keiner Stelle in unserem Sozial- und Rentensystem auch nur ein Cent gestrichen worden. Gravierende Missstände, zum Beispiel in der Infrastruktur, resultieren aus Fehlentscheidungen der Bundesregierungen über Jahrzehnte hinweg. CDU und CSU, SPD, FDP und Grüne haben ihre Aktien daran, eine dringend erforderliche Umverteilung von oben nach unten stand niemals auf ihrer Agenda. Steuerflüchtlinge blieben unbehelligt, Profite unangetastet. Eine soziale Offensive für alle in unserem Land wäre so dringend erforderlich.

Von der Flüchtlingspolitik, die Seehofer kritisiert, hat sich Merkel längst verabschiedet. 62,5 der 63 Punkte von Seehofers der Öffentlichkeit unbekanntem „Masterplan“ stimme Merkel zu, war aus dem CDU-Vorstand zu hören. Gut möglich. Im Kern geht der Streit darum, wo Flüchtlinge am wirksamsten gestoppt werden können. Auch die sogenannte „europäische Lösung“ ist nichts anderes als eine Abwehrstrategie. Mit Solidarität gegenüber den Geschundenen aus Kriegen, von Naturkatastrophen und Verelendung hat sie wenig zu tun. In der CSU macht das schlimme Wort vom „Asyltourismus“ die Runde. Zynischer geht es nicht! Und: Wenn ausgerechnet die Bundesrepublik jetzt europäische Solidarität einfordert, wird man sich nach jahrelanger deutscher Erpressungspolitik in Griechenland und anderen Ländern des Südens verwundert die Augen reiben.

Die Chancen für vernünftige und zukunftsfähige europäische Strategien haben sich nicht zuletzt angesichts des Rechtsrucks auf dem Kontinent deutlich verschlechtert. Politiker wie Kurz oder Orban, aus München nach Kräften hofiert, sind dafür denkbar ungeeignete Partner. „Wir als CSU sind überzeugt davon, dass es eine wichtige Aufgabe ist, eine Asylwende in Deutschland einzuleiten“, sagt Bayerns Regierungschef Söder. Er meint damit allerdings mitnichten die Wiederherstellung eines in unserem Land schon weitgehend geschliffenen Rechts, sondern er will dessen größtmögliche Aushebelung. „CDU und CSU werden eine Kettenreaktion in Gang setzen, bei der Grenzschließung auf Grenzschließung folgt“, prophezeit Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Für Menschen in Not muss es offene Grenzen geben.

Die treibenden Kräfte der unionsinternen Auseinandersetzungen, die die Regierung und die Stabilität im Land aufs Spiel setzen, sind Markus Söder und Alexander Dobrindt, die Innenminister Seehofer scheuchen. Für sie sind die eigenen Chancen zur Landtagswahl in Bayern das A und O, deshalb scheuen sie keine Scheindiskussion und spielen die Ärmsten gegen die Armen aus. „Mia san mia“ lautet die bayerische Übersetzung von „America first“. Der FC Bayern wurde unter dieser Devise deutscher Meister, für den Pokal hat es schon nicht mehr gereicht. Den deutschen Fußball hat diese Einstellung nicht vorangebracht und für die europäische Spitze war es schlicht zu wenig. Ob es für die CSU im Bundesland Bayern reicht, bleibt abzuwarten. Auf dem Weg rechts vorbei an der AfD könnte es ein böses Erwachen geben