Humanitäre Flüchtlingspolitik – hier muss Deutschland führen

Mit dem Nachtragshaushalt lässt die Bundesregierung Chancen ungenutzt und schreibt Zukunftsgestaltung eher klein.  Als stärkste Wirtschaftsnation Europas kann und muss Deutschland deutlich mehr für humanitäre Lösungen der Flüchtlingsprobleme leisten. 

Rede in der Debatte zur ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Oppermann ruft gerade: „Ein paar lobende Worte für den Nachtragshaushalt!“

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will schon sagen, dass die Grundrichtung nicht verkehrt ist; das ist ja unbestritten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darauf, dass Deutschland mehr investieren muss und dass die Lage der Kommunalfinanzen teilweise verheerend ist, haben Wirtschaftsexperten in Deutschland und in der EU hingewiesen. Darauf hat die Opposition Sie auch mehrfach in Debatten hingewiesen. Sogar Abgeordnete der die Regierung tragenden Fraktionen weisen in hinteren Zimmern immer wieder darauf hin, dass dort Defizite sind. Aber das, was Sie hier tun, ist völlig unzureichend.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich nehme mal das DIW als Maßstab. Das DIW – wahrhaftig nicht links – sagt, dass wir einen zusätzlichen Investitionsbedarf von 75 Milliarden Euro pro anno haben. Das ist die Zahl, die der Maßstab ist. Mit jedem Tag des Ausbleibens von Investitionen verfällt die Infrastruktur in Deutschland. Zentrale Zukunftsfragen müssen viel konsequenter angegangen werden. Wissenschaft und Forschung, Schulen, Klimaschutz – das sind die Bereiche, für die der Nachtragshaushalt eine Chance geboten hätte.

Zum Beispiel: Sie kündigen an, dass Sie innerhalb von drei Jahren für die öffentliche Verkehrsinfrastruktur und die digitale Infrastruktur 4,4 Milliarden Euro einsetzen wollen. Allein für den Ersatz von Verkehrsinfrastruktur benötigen wir 3,8 Milliarden Euro pro anno. Das heißt, dass Sie über die digitale Infrastruktur im Prinzip sehr viel reden, aber real nicht handeln. Als jemand, der aus Mecklenburg-Vorpommern kommt, kann ich Ihnen sagen: Unternehmen und auch viele Menschen beschweren sich immer wieder, dass wir da weiter rückständig sind. Das ist eine Aufgabe, die Sie in Angriff nehmen sollten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das, was Sie machen, ist nicht mehr als der Versuch, Risiken und Nebenwirkungen Ihrer seit Jahren verfehlten Politik ein Stück weit zu bekämpfen. Um das Land zukunftsfähig zu machen, braucht es mehr Entschlossenheit und deutlich mehr Investitionen. Wann, frage ich mich, wollen Sie das eigentlich machen? Sie haben gestern das prognostizierte Wirtschaftswachstum nach oben gesetzt. Wir haben eine Situation der absolut niedrigen Zinsen. Das ist doch die Gelegenheit, hier mehr zu tun.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das wäre die große Chance, jetzt im Nachtragshaushalt etwas zu machen.

Dann haben Sie hier über die Kommunen gesprochen. Sie wollen jetzt einen Kommunalinvestitionsförderungsfonds mit 3,5 Milliarden Euro schaffen. Das ist völlig in Ordnung; natürlich brauchen die Kommunen in Ost und West mehr Geld – unbestritten. Aber die kommunalen Kernhaushalte sind derzeit mit 130 Milliarden Euro verschuldet, und der Investitionsstau bei den Kommunen beträgt 120 Milliarden Euro, meine Damen und Herren. Da wundert es natürlich nicht, dass niemand in den Kommunen etwa in Jubelschreie ausbricht. Die nehmen, was völlig in Ordnung ist, das Geld. Aber das, was Sie hier anbieten, ist völlig unzureichend.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will – Carsten Schneider kann ja nachher darauf eingehen – eine kleine Zusatzfrage stellen. Sie haben diesmal nicht den Königsteiner Schlüssel, sondern ein anderes Verfahren gewählt. Komischerweise bekommt ausgerechnet Thüringen – ich weiß gar nicht, warum – deutlich weniger Geld, als es nach dem Königsteiner Schlüssel bekommen würde.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Überraschung!)

Vielleicht können Sie aber darauf eingehen, welche Gründe es dafür gibt.

Entscheidend ist, dass Sie mit dem Nachtragshaushalt die Probleme der Kommunen und der Länder in keiner Weise lösen. Ich habe, Herr Schäuble, mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie gesagt haben, es sei ganz dringlich, dass die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu geregelt werden. Ich fordere hier aber ein, dass wir die Position der Bundesregierung dazu kennen und dass wir das auch hier im Deutschen Bundestag behandeln. Gilt denn das Schäuble-Scholz-Papier noch? Wir müssen hier – und nicht in Hinterzimmern – darüber reden. Wir haben ein Recht darauf, dieses Thema in diesem Haus aufzurufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zum Thema Flüchtlinge machen. Es steht außer Frage, dass Deutschland auf diesem Gebiet in den letzten Jahren – auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – viel gemacht hat. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass wir all denjenigen, die sich in Kommunen engagieren – da gibt es viele ehrenamtliche Helfer -, gemeinsam lieber einmal mehr als einmal zu wenig für ihr Engagement danken sollten.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich war mit einigen Kollegen hier aus dem Haus in der letzten Woche im Nahen und im Mittleren Osten. Da habe ich unter anderem auch diverse Flüchtlingslager gesehen. An der jordanischen Grenze zu Syrien war ich in einem Lager mit über 80 000 Flüchtlingen. Dort gibt es sehr viele Kinder. Die Bedingungen sind teilweise katastrophal. Ich habe – Herr Kauder war vor mir da – ein christliches Flüchtlingslager in Erbil gesehen. Auf engstem Raum sind dort Menschen unter teilweise katastrophalen Bedingungen untergebracht. Ich habe mit Jesiden geredet, die ihre Heimat verlassen mussten. Dort gibt es viele traumatisierte Frauen.

Wer das alles gesehen hat, findet die Diskussion, die wir hier teilweise führen, wirklich kleingeistig und inhuman. Wir sollten bei der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen in Europa eine Führungsrolle einnehmen – nicht wenn es um Militär und Ähnliches geht.

(Beifall bei der LINKEN)

Zeigen Sie hier doch einmal mit dem Nachtragshaushalt, dass wir das können, dass wir bereit sind, in dieser Situation auch finanzielle Mittel einzusetzen. Die Prognosen gehen jetzt bis hin zu 500 000 Flüchtlingen. Der Nachtragshaushalt wäre eine Chance gewesen, hier wirklich auch für die Länder und Kommunen etwas zu tun. Sie wissen doch, dass die Länder und Kommunen das nicht stemmen können, wenn es 500 000 Flüchtlinge werden. Deshalb fordern wir, dass 2 Milliarden Euro eingesetzt werden. Der Nachtragshaushalt wäre da eine Chance. Das wäre ein Zeigen von Führungsqualität in Europa. Damit könnte auch ein Beispiel für andere europäische Länder gesetzt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Geld, das jetzt dafür vorhanden ist, reicht nicht aus.

Wir haben gestern in einer Schweigeminute gemeinsam der Flüchtlinge gedacht. Aber gerade im 70. Jahr der Befreiung vom Faschismus und gerade angesichts unserer wechselvollen Geschichte sollten wir dieses Thema in anderer Weise behandeln und deutlich machen, dass wir dafür auch ausreichende finanzielle Mittel bereitstellen ‑ auch in Kenntnis der Tatsache, dass die Übergriffe auf Ausländer, auf Unterkünfte der Asylbewerber zugenommen haben und dass Menschen, die im Ehrenamt diese Willkommenskultur, von der wir alle sprechen, leben, eben nicht wenige Probleme haben. Dagegen müssen wir alle entschlossen agieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist überhaupt nicht hinnehmbar, wenn der Generalsekretär einer immerhin regierungstragenden Partei, der CSU, sagt, das Asylrecht sei nicht für Sozialtouristen gemacht, die einen Freifahrtschein ins „All inclusive Sozialparadies“ buchen wollen. Das ist eine skandalöse Äußerung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage mich, wieso vonseiten der Bundesregierung nicht einmal klare Äußerungen gegen einen solchen Unsinn kommen. Das ist nicht zu akzeptieren. Es kommen keine Kostenfaktoren zu uns, sondern Menschen in höchster Not um Leib und Leben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Flüchtlinge sind die Botschafter des schreienden Unrechts und der Kriege auf dieser Welt.

Deshalb: Der Nachtragshaushalt ist notwendig. Bei Zukunftsinvestitionen müsste geliefert werden. Bei der Lage der Flüchtlinge müssten Sie mit ganz anderen Dimensionen herangehen. Statt Gesellschaft und Zukunft zu gestalten, ist es so, dass die Koalition hier erneut nur mit dem Anspruch eines Reparaturnotdienstes auftritt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))