Gleichwertige Lebensverhältnisse müssen erlebbar sein

Mit diesem „Tempo“ bei der Angleichung der Wirtschaftskraft des Ostens an den Westen gibt es gleichwertige Lebensverhältnisse 2085, fast hundert Jahre nach der Deutschen Einheit.
Die Regierung setzt dennoch im Kern auf „Weiter so“. Das ist politisch inakzeptabel.

Debatte zum Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2013

Sehr geehrte Frau Gleicke, das verbindet uns: dass wir stolz sind, aus Ostdeutschland zu kommen. ‑ Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ja ‑ um es klar und deutlich zu sagen ‑, auch die Linke freut sich über alle Fortschritte bei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Wolfgang Tiefensee (SPD): Aber?)

Es ist gut so, dass das Ganze bei allen europäischen Problemen, die wir haben, weiter ein Thema bleibt. Wir freuen uns, wenn sich die Infrastruktur entwickelt, die Verkehrswege, die Kommunikationswege. Im Osten gibt es international anerkannte Hochschulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen. Es gibt wunderbare Beispiele beim Städtebau, beim Stadtumbau. Da haben wir aus der Opposition und mit den Ländern dafür gesorgt, dass die Kürzungen, die Herr Ramsauer immer wollte, nicht eingetreten sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Darauf können wir, gemeinsam mit den Sozialdemokraten, auch ein bisschen stolz sein. Auf diese Leistungen können die Menschen stolz sein, besonders die Menschen in den neuen Ländern.

 

Aber zur Realität im Osten ‑ im Übrigen auch im Westen ‑ zählt im Jahre 2014 auch, dass in oft fabelhaft sanierten Städten viele Läden leer stehen. Dazu zählt auch, dass wir überall weltberühmte Künstler engagieren, aber dass es viele Eltern gibt, die den Kinobesuch ihrer Kinder nicht bezahlen können.

 

Die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse ist eben nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Wir alle wissen: Die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern ist weiterhin nahezu doppelt so hoch wie in den alten Ländern. Es wiegt besonders schwer, dass seit 1992 in den neuen Ländern die Zahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze um 17,5 Prozent, nämlich um 1,2 Millionen, gesunken ist. Im gleichen Zeitraum ist in den alten Ländern die Zahl dieser Beschäftigungsverhältnisse um 5 Prozent gestiegen. Das ist ein wirklich schwerwiegendes Problem.

 

Bei den Löhnen und Gehältern hat sich der Unterschied zwischen Ost und West seit Mitte der 90er-Jahre nicht wesentlich verändert. Das sage ich jetzt, da wir ja gerade über die Diätenerhöhung diskutiert haben.

 

Die Vermögensungleichheit ist geblieben. Haushalte im Osten verfügen im Schnitt nur über 42 Prozent des Vermögens von Haushalten im Westen. Das alles sind doch Riesenprobleme.

 

Frau Gleicke, Sie verweisen auf die Wirtschaftskraft. Jawohl, einverstanden! Dafür ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung ein ganz wichtiger Indikator. Wenn wir uns die Zeit von 2001 bis 2012 anschauen, stellen wir fest: Alle drei Jahre gab es eine Angleichung um 1 Prozent. Wir sind jetzt bei 75,5 Prozent des Westniveaus. Wenn wir die Aufholjagd mit diesem „rasanten“ Tempo fortsetzen, dann haben wir 2085 gleichwertige Verhältnisse ‑ fast 100 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit! Sie haben nicht einen einzigen Vorschlag gemacht, wie wir das wirklich ändern wollen. Nicht die Langsamkeit ist das Problem, sondern dass es keinen einzigen Vorschlag gibt. Sie setzen im Kern auf ein Weiter-so.

(Beifall bei der LINKEN)

 

Nun haben Sie etwas zur Rente gesagt. Das war schon einigermaßen verwunderlich. Natürlich ist das eine zentrale Frage für viele Menschen in den neuen Ländern. Ich will noch einmal daran erinnern: Die thüringische Ministerpräsidentin, Frau Lieberknecht ‑ noch stellt in Thüringen die CDU den Ministerpräsidenten ‑,

(Mark Hauptmann (CDU/CSU): Zum Glück!)

hat im Jahr 2012 gesagt, dass das Agieren der damaligen Koalition auf Bundesebene offensichtlich einen Fall von Arbeitsverweigerung darstellt. Das haben auch Sie damals kritisiert. Aber auch an diesem Punkt nehmen Sie überhaupt keine Veränderung vor. Schwarz-Rot stellt auf diesem Gebiet das Handeln wirklich ein.

(Daniela Kolbe (SPD): Das stimmt ja gar nicht!)

Sie prüfen nur. Sie kündigen nur an. Das ist skandalös, und das ist auch mit dem Verfassungsauftrag „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht vereinbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun noch zu einem Thema, bei dem mich etwas besonders stört, zur Mütterrente. Wir alle wissen: Ostmütter bekommen für ein Kind, das vor 1992 geboren ist, 25,74 Euro. Bei Westmüttern sind die Kinder wertvoller; dafür gibt es nämlich 28,14 Euro.

(Mark Hauptmann (CDU/CSU): So ein Blödsinn! ‑ Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): So ein dummes Zeug!)

Wir sagen ganz klar und deutlich: Jedes Kind muss auf dem Rentenkonto gleich viel wert sein,

(Beifall bei der LINKEN)

egal ob es 1958 oder 2012, ob es in Schwerin oder in München geboren ist. Hier muss wirklich etwas neu verstanden werden. Das kann so nicht weitergehen.

 

Die deutsche Einheit muss neu verstanden und politisch auch anders gestaltet werden. Der Aufbau Ost als Nachbau West ist letztlich gescheitert. Wir brauchen eine gezielte Struktur- und Regionalpolitik und auch da nicht nur Ankündigungen, dass wir neue Wege erproben müssen, wie es bei Ihnen steht. Nein, da müssen die Erfahrungen des Ostens in ganz anderer Weise aufgegriffen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie haben, Frau Gleicke, heute und in den letzten Tagen viel angekündigt, vieles zum Thema Ost. Wir werden Sie bei vielen Dingen auch unterstützen können. Ich hoffe, dass Sie da einen langen Atem haben. Nutzen Sie Ihre Chance! Sie haben eine. Sie sind neu im Amt. Sagen Sie vor allen Dingen laut und rechtzeitig, wenn etwas nicht klappt! Sie haben Ihren Vorgänger gelobt. Den habe ich in den vergangenen vier Jahren zu dieser Frage nicht einmal gehört. Ich wünsche mir, dass Sie in der Bundesregierung laut und deutlich sagen, wenn irgendetwas in Bezug auf den Aufbau Ost nicht läuft.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Zurufe von der CDU/CSU)

Der erste Punkt wäre zum Beispiel, dass Sie bei den Regionalisierungsmitteln dafür sorgen, dass der Osten nicht weniger davon bekommt. Das ist eine ganz zentrale Frage. Daran werden wir Sie messen. Wenn das weniger wird, haben Sie Ihren Auftrag nicht erfüllt.

(Beifall bei der LINKEN)

Es muss ganz klar sein, dass das funktioniert.

Dann noch eine Bemerkung zum Mindestlohn. Sie haben damals gesagt: Ohne Wenn und Aber und sofort. ‑ Na ja, das kann ich im Koalitionsvertrag wirklich nicht feststellen. Wo ist denn da der Mindestlohn ohne Wenn und Aber? Wann ist denn der Zeitpunkt? Bis es so weit ist, sind die geplanten 8,50 Euro doch viel weniger wert. Vor allen Dingen müssen Sie dafür sorgen, dass für die kleinen und mittleren Unternehmen Übergänge geschaffen werden, sodass sie das zahlen können und nicht Arbeitsplätze kaputtgehen.

(Beifall bei der LINKEN – Daniela Kolbe (SPD): Das ist aber jetzt widersprüchlich!)

Wir brauchen in dieser Legislatur dringend die Verabschiedung eines Solidarpakts III. Das kriegen wir in der nächsten Legislatur nicht hin; das muss jetzt geschehen. Dabei muss es darum gehen, strukturschwache Regionen in Ost und in West zu fördern. Das ist notwendig. Wir müssen die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen insgesamt neu regeln. Eine Föderalismuskommission III ist angesagt. Das ist extrem notwendig. Es wäre im Übrigen sinnvoll, liebe Kolleginnen und Kollegen aus Bayern und Hessen, wenn die Klagen zurückgezogen würden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist nämlich destruktiv und verunsichert die Menschen in den neuen Ländern.

Ganz klar und eindeutig: Die Rückstände des Ostens im Hinblick auf gleichwertige Lebensverhältnisse müssen gezielt und vorrangig überwunden werden. Das darf nicht irgendein Punkt der Wirtschaftspolitik oder im Wirtschaftsministerium sein. Es wäre auch sinnvoll, wenn der Minister bei diesem Punkt einmal anwesend wäre.

 

Wir werden Sie genau betrachten; ich habe das angekündigt. Ich hoffe, dass das, was Sie angekündigt haben, mit ganzer Kraft umgesetzt wird. Dann werde ich mich auch nachhaltig dafür einsetzen, dass mein Kollege Gysi von der halben Portion zur ganzen kommt. Das verspreche ich Ihnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)