Die Haushaltspolitik der Großen Koalition ist ideen- und hoffnungslos

Die Bundesregierung kann Gesetze der Mathematik nicht außer Kraft setzten. Um das Land gerechter zu machen, müssen öffentliche Haushalte auch durch mehr Steuergerechtigkeit gestärkt werden.

Rede im Bundestag nach der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Regierungsprogramm für 2014

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Schäuble, ich kann Ihnen zusichern: Wir werden dieser Verantwortung gerecht werden, aber das heißt natürlich nicht, dass wir das, was Sie hier als Kurs vorgeben, unkritisch zur Kenntnis nehmen.

Sie haben als Koalition in den ersten vier Monaten einen schwungvollen Start hingelegt. Es gab ein relativ großes Chaos. Ich hoffe, dass das Kennenlernprogramm jetzt zu Ende ist.

Aber was Sie in der kurzen Zeit geschafft haben, ist, erst einmal die Entscheidung zu treffen, 35 neue Stellen einzurichten, darunter auch die von Staatssekretären, die enorm teuer sind. Ich frage mich, wie Sie den Kommunen und den Ländern erklären wollen, dass Sie hier Personal aufbauen und in den Ländern, egal ob von CDU, SPD oder Linken regiert, Personal abgebaut werden muss. Das passt nicht zusammen. Es ist auch nicht in Ordnung: Hier auf Bundesebene Stellen aufzubauen, geht so nicht.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich als Beispiel das BMZ nennen. Dort ist Herr Fuchtel offensichtlich gleich in Kompaniestärke eingezogen.

(Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Na, na, na!)

Da kann ich nur sagen: Das ist ein Weg, den wir so nicht mitgehen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen Deutschlands Zukunft gestalten. Das hört sich gut an. Sie wollen die großen Themen und die großen Probleme angehen. Das ist völlig in Ordnung, damit sind wir einverstanden. Aber wenn ich mir anschaue, welche finanz- und haushaltspolitischen Schritte gegangen werden, dann stelle ich fest: Was Sie machen, ist im Kern ein Weiter-so.

Ich will einen Satz aus der Präambel Ihres Koalitionsvertrages zitieren. Dort heißt es immerhin:
„Nicht alle Menschen haben jedoch and ieser positiven Entwicklung teilhaben können.“

Wen meinen Sie damit eigentlich? Die 12 Millionen Bundesbürger, die laut Statistischem Bundesamt an der Armutsgrenze leben? Die 2,5 Millionen junger Menschen, die unter Einkommensarmut leiden? Die 465 000 Rentner, die von Sozialleistungen leben müssen? Die alle kamen weder bei der Kanzlerin noch bei Ihnen heute in irgendeiner Weise vor. Das kann ich insoweit verstehen, als Sie über diejenigen, die von Ihrer Politik profitieren, auch nicht reden.

Ich will Ihnen eines sagen: Zu den großen Herausforderungen der Politik gehört auch, die ungerechte Vermögens- und Einkommensverteilung in Deutschland anzugehen. Die Probleme müssen angepackt werden; denn die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander.

Ich will Ihnen zwei Zahlen nennen. Auf der einen Seite steigt die Zahl der Vermögensmillionäre in Deutschland jedes Jahr. Wir sind inzwischen bei über 1 015 000 Vermögensmillionären, und das wird man nicht mit eigener Hände Arbeit. Auf der anderen Seite leben inzwischen 20 Prozent der Kinder in Armut. Beides sind keine Zahlen der Linken. Das zeigt: Auch das passt nicht zusammen. Das ist eine Politik, die nicht sozial und die nicht christlich ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen müssen wir bei dieser Entwicklung gegensteuern. Wir können nicht sagen: Alles bleibt beim Alten.

Ihre Finanzpolitik kann man am Beispiel Rente sehr gut deutlich machen. Ich will nicht zur Sache reden ‑ damit werden sich die Fachpolitiker auseinandersetzen ‑, aber die Frage ist: Was machen Sie finanzpolitisch? Erstens. Sie verbraten alle vorhandenen Reserven. Zweitens: Für die Finanzierung der Mütterrente erhöhen Sie nicht etwa die Beiträge, sondern Sie greifen in die Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und zum Schluss sagen Sie noch: Irgendwann 2019 werden wir den Steuerzuschuss erhöhen. – Das ist eine unsolide Finanzpolitik.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Was? Das glauben Sie ja selber nicht!)

Das ist Politik zulasten zukünftiger Generationen, und das darf nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun zum Thema Haushalt. Herr Schäuble, Sie sagen: Keine neuen Bundesschulden. – Das ist völlig in Ordnung; damit sind wir einverstanden. Das habe ich aber auch schon von Ihren Vorgängern gehört. Ich will an eines erinnern: In der letzten Legislaturperiode hat Ihre Koalition 100 Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Die Bundesschuld liegt bei 1,1 Billionen Euro. Ich höre sehr wohl, dass Sie das auf 70 Prozent reduzieren wollen ‑ allein, mir fehlt der Glaube.

Es gibt andere Beispiele: Im rot-rot regierten Brandenburg werden seit drei Jahren Überschüsse produziert, und wir haben mit der Schuldentilgung begonnen. Das, was auf Bundesebene nicht gemacht wird, geht offensichtlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch Sie können mit einer noch so großen Mehrheit im Parlament die Regeln der Mathematik nicht außer Kraft setzen; die können Sie nicht wegbeschließen. Deswegen werden wir über Einnahmeerhöhungen nachdenken müssen. Das heißt eben nicht pauschal Steuererhöhungen. Vielmehr müssen wir genau schauen, wer von der Krise profitiert, wo große Vermögen und Einkommen vorhanden sind.

Ich kann es meinen lieben Kolleginnen und Kollegen der SPD nicht ersparen: In Ihrem Regierungsprogramm stand vieles, das sich sehr gut lesen ließ. Was ist aber nun mit der Erhöhung der Einkommen- und Abgeltungsteuer? Fehlanzeige. Was ist damit, dass die Vermögensteuer wieder erhoben werden sollte? Fehlanzeige. Was ist denn mit der Korrektur bei der Erbschaftsteuer? Fehlanzeige. Was ist mit einem europäischen Erblastentilgungsfonds? Fehlanzeige. Was ist mit der Streichung von Subventionen für unökologische Tatbestände? Fehlanzeige. Das alles findet sich nicht wieder. Was ist denn vom Regierungsprogramm übrig geblieben? Das Schlimme ist, dass sich der vernünftigste Vorschlag der CDU, der Abbau der kalten Progression, auch nicht wiederfindet. Sie haben sich also auf dem schlechtesten Level geeinigt. Das kann finanzpolitisch nicht sein. Wir sollten den Mittelstandsbauch endlich abbauen; denn wir müssen die Menschen entlasten, die viel in unserer Gesellschaft tun, und starke Schultern müssen mehr tragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf dem Gebiet der Haushalts- und Finanzpolitik gibt es im Kern ein Weiter-so der Politik von Schwarz-Gelb, liebe Kolleginnen und Kollegen gerade auch der Sozialdemokratie. Wir brauchen etwas anderes. Wir brauchen nicht das Gerede über die Regulierung der Finanzmärkte, sondern das muss endlich geschehen.

(Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): 30 Projekte in der nächsten Legislaturperiode!)

Wir müssen endlich Millionäre, Milliardäre und Superreiche zur Kasse bitten. Wir dürfen sie nicht länger herausnehmen bei der Finanzierung des Gemeinwesens. Wir müssen Steuerentlastungen für die Geringverdienerinnen und Geringverdiener durchsetzen, um die Nachfrage zu erhöhen. Millionärssteuer ist angesagt. Es gibt noch viele weitere Vorschläge.

Herr Schäuble, Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn Sie Steuerhinterziehung stärker bekämpfen wollen, wenn Sie bei denjenigen etwas abholen wollen, die bewusst dem Gemeinwohl schaden. Da sind wir dabei. Aber auch hier frage ich: Wer ist denn seit vielen Jahren Finanzminister und hätte schon einiges tun können?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‑ Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das muss man machen! Nicht nur darüber reden, sondern machen!)

Ich sage Ihnen ganz klar und eindeutig: Wir werden Sie nicht an Ihren, wie Herr Riesenhuber es ausdrückte, majestätischen Worten messen, sondern an Ihren Taten. Ich sage Ihnen voraus: Mit der Politik werden Sie das ambitionierte Ziel, 2015 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, nicht erreichen; denn Sie können mit einer noch so großen Koalition die Mathematik nicht wegbeschließen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Volker Kauder (CDU/CSU): Sie werden sich wundern, was wir noch erreichen!)