Ideologische Blockaden von Schwarz Gelb verhindern Wege aus der Krise – in Deutschland und Europa

Abschlussrunde zur Ersten Lesung des Haushaltsentwurfes der Bundesregierung 2012

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung:
Wir hatten hier eine sehr interessante Haushaltswoche. Es gab nämlich unterschiedliche Realitäten. Die der Regierung ist, dass dies ein wunderschönes Land ohne jegliche haushaltspolitische Probleme ist. Die Opposition hat zweifelsohne eine andere Realität.

Ich habe vor der Haushaltswoche in Mecklenburg-Vorpommern eine dritte Realität kennenlernen dürfen. Dies geschah nicht im Rahmen der Wahlveranstaltungen der Partei, sondern im Rahmen vieler Gespräche mit Menschen. Ich kann nur eines feststellen: Diese Menschen verstehen uns häufig nicht. Es sollte ein Alarmsignal und eine Herausforderung für uns sein, dass alle hier im Bundestag vertretenen Parteien zusammen keine 50 Prozent der Stimmen der Wahlberechtigten in Mecklenburg-Vorpommern erreicht haben. Lassen Sie uns auch bei Haushaltsdebatten gemeinsam darüber nachdenken.

Nach dieser Woche bleibt eines: Der Kabinettsbeschluss ist weder seriös noch verantwortungsbewusst. Er ist das Gegenteil davon. Lassen Sie mich das an fünf Gründen festmachen:

Erstens. Die Ausgangslage und die Rahmenbedingungen, die Frau Merkel und Herr Schäuble hier dargestellt haben, sind weit dramatischer als das, was sie hier dargelegt haben. Was passiert denn in Griechenland, wenn die Troika zu dem Ergebnis kommt, dass es kein neues Geld geben soll? Was passiert dann in anderen EU-Ländern? Was passiert dann in den Banken? Was passiert, wenn in den Vereinigten Staaten das, was angekündigt ist, durch den Wahlkampf konterkariert wird? Das alles wissen wir nicht. Es ist viel dramatischer als hier dargestellt.

Zweitens. Die Risiken der Zinsentwicklung, auch im Kontext der gesamten existierenden Schattenhaushalte, sind in keiner Weise im Haushalt abgebildet.

Drittens. Es gibt eine Fehleinschätzung in Bezug auf die Wirkung der aktuellen Krisenbewältigungsinstrumente.

Viertens. Sie rechnen mit einem Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent in den nächsten fünf Jahren. Wo leben Sie denn? Die OECD hat gestern gesagt, dass es im vierten Quartal ein Minuswachstum geben wird. Das ist die Realität. Das sind alles Annahmen, die nicht seriös sind.

Fünftens. Die Regierung blockiert sich selbst. Sie agiert in der Regel zu spät. Ich bedaure Herrn Schäuble, dass er mit der Schülerunion koalieren muss und dass es da ständig Querschüsse gibt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie müssen Ihre tradierten Verhaltensmuster zur Krisenbewältigung überwinden. Ja, das sind viele neue Herausforderungen. Es wird ein enormes Tempo an Entscheidungen abgefordert. Klar bleibt eines: Regulieren wir nicht die Finanzmärkte, bringen wir nicht die Banken und die Finanzmärkte unter öffentlich-rechtliche Kontrolle, werden wir immer hinterherlaufen. Gerade auf diesem Gebiet ist mehr oder weniger nichts passiert.

Es gibt ein weiteres Problem: Die Bundesregierung trifft die notwendigen Entscheidungen, und zwar aus ideologischen Gründen, in der Regel zu spät oder eben gar nicht. Ich kann viele Stichwörter nennen. Ich erinnere zum Beispiel daran, dass wir vor Jahren einen Gesetzentwurf über die Finanztransaktionsteuer im Haushaltsausschuss eingebracht haben. Selbst der damalige Finanzminister Steinbrück hat von Teufelszeug und von einem Irrglauben der Linken gesprochen.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Richtig! Das ist die Wahrheit!)

Sie reden darüber, aber passiert ist doch überhaupt nichts.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Das stimmt nicht!)

So ist es auch bei der Finanzmarktkontrolle. Es wird geredet; aber außer dem Verbot von Leerverkäufen ist fast nichts geschehen.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Das stimmt überhaupt nicht!)

Auch die Verursacher der Krise und die Krisengewinnler sind in keiner Weise zur Kasse gebeten worden. Fakt ist, dass sich die Staatsschulden europaweit auf 10 Billionen Euro belaufen. Auf der anderen Seite beträgt das Vermögen von Millionären und Multimillionären 10 Billionen Dollar. Lassen Sie uns doch gemeinsam dafür sorgen, dass beide Zahlen reduziert werden. Das könnten wir gemeinsam angehen, damit in Deutschland und Europa mehr Gerechtigkeit entsteht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung gibt vor, sich für Europa einzusetzen. Ja, Herr Schäuble, ich habe Sie hier wieder als überzeugten Europäer erlebt. Aber was hat denn der Export des Sozialabbaus in Form von Sparauflagen nach Griechenland real gebracht? Nichts, aber auch gar nichts hat zur Überwindung der Schuldenkrise, zur Stabilisierung oder zum Wirtschaftswachstum in Griechenland beigetragen. Der griechische Minister sagt das ist auch die Meinung der Experten : Das Wirtschaftswachstum sinkt um 5 Prozent; von Wachstum zu reden ist in diesem Zusammenhang eigentlich absurd. Um dem Schuldenstand überhaupt adäquat begegnen zu können, wäre ein Wachstum von 3 Prozent erforderlich. Wir geben hier die völlig falsche Medizin. Herr Schäuble, ich rate Ihnen: Fragen Sie einmal den Wirtschaftsminister, aber nicht als Wirtschaftsminister um Gottes willen , sondern als Arzt. Wenn sich eine Medizin als falsch erwiesen hat, verordnet man etwas anderes. Fragen Sie hierzu einmal den Arzt Rösler, nicht den Wirtschaftsminister Rösler.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen für Griechenland einen Marshallplan mit Investitionen in dem Land, damit irgendwann einmal Überschüsse produziert werden können. Alles andere ist wirklich absurd.

In Griechenland verfügen 2 000 Familien über 80 Prozent des gesamten privaten Vermögens. Warum kann nicht die EU, warum können nicht wir Druck machen, dass diese Familien endlich zur Finanzierung des Defizits in Griechenland herangezogen werden?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Warum lassen wir es zu, dass immer bei den Schwächsten gekürzt wird? Das ist doch ein ungerechtes Herangehen.

Ich will einen weiteren Punkt zu Griechenland sagen. Griechenland liegt bei den Verteidigungsausgaben mit 685 Dollar pro Kopf auf Platz 3 in Europa. Das ist doch ein unhaltbarer Zustand. Warum sorgen wir nicht dafür, dass Deutschland keine Rüstungsgüter mehr dorthin exportiert? Das würde auch dazu führen, dass das Außenhandelsdefizit in Griechenland reduziert wird. Das wäre doch eine Maßnahme. Warum muss Griechenland weiterhin ins Militär investieren? Das ist in dieser Situation völlig falsch.

(Beifall bei der LINKEN Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Wollen Sie Griechenland annektieren?)

Die Bundeskanzlerin hat unrecht, wenn sie sagt, Deutschland spare so, dass die Konjunktur nicht abgewürgt wird; Herr Barthle hat das noch einmal unterstrichen. Richtig ist: Der Haushalt des Jahres 2012 ist erneut ein Haushalt des Schuldenmachens. Das, was die Bundesregierung hier vorlegt, ist eben nicht vorbildlich, Jürgen Koppelin. Ich habe ständig das Gefühl, als würden wir im nächsten Jahr einen Überschuss von 27 Milliarden Euro erzielen. Die Realität ist: Wir machen 27 Milliarden Euro neue Schulden.

Herr Schäuble, Sie bleiben der Schuldenkönig unter den deutschen Finanzministern.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Nein, das stimmt doch gar nicht!)

Keine Regierung hat mehr Schulden gemacht. Nach jetziger Planung sollen in vier Jahren 144,5 Milliarden Euro Schulden gemacht werden. Das hat noch keine Regierung geschafft.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Doch, Steinbrück!)

Der grundlegende Fehler Ihrer Politik ist, dass Sie keine echten Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmeseite vorschlagen. Das wäre der richtige Weg.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das bedeutet nicht, wie Sie sagen, dass man den Leuten in die Tasche greift; das ist nicht der Fall. Aber Diskussionen über Steuersenkungen sind in dieser Situation völlig absurd. Beenden Sie das!

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Merkel, Sie dürfen nicht Arzt am Krankenbett der FDP sein. Steuersenkungen in dieser Situation sind falsch. Entlastungen bei Beziehern von kleinen und mittleren Einkommen sind richtig; aber diejenigen, die viel verdienen, müssen stärker herangezogen werden. Herr Schäuble, Sie könnten ein Held werden, wenn Sie eine Millionärsteuer einführen würden mit der Begründung: Wir treiben verspätet die Steuern ein, die Rot-Grün den öffentlichen Haushalten vorenthalten hat. Das wäre der richtige Weg. Mit diesem Geld könnte man eine ganze Menge bewegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte dazu noch etwas sagen. Herr Schäuble, Sie haben gesagt: Mit der Linken über Haushaltskonsolidierung zu reden, ist vielleicht amüsant, aber nicht zielführend. – Ich will Ihnen die konkreten Fakten nennen. Die rot-rote Regierung in Mecklenburg-Vorpommern hat das Land auf einen so guten Kurs gebracht, dass die Neuverschuldung heute bei null liegt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die rot-rote Regierung in Berlin hat es geschafft, sich nach den wahnsinnigen Schulden, die Herr Diepgen angehäuft hat, wieder ein paar Gestaltungsräume zu erarbeiten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP): Woher ist denn das Geld?)

In Brandenburg stellen wir einen Finanzminister, der eine grundsolide Politik macht. Das ist die Politik der Linken in den Ländern. Die kann sich wirklich sehen lassen.
(Beifall bei der LINKEN)

Wir werden auch hier in den Haushaltsdebatten in den nächsten Wochen ganz konkrete Vorschläge vorlegen, wo wir etwas einsparen können. Möglichkeiten gibt es in diesem Haushalt eine ganze Menge.

Ich bin sehr erstaunt, dass von dem schönen Sparbuch, das die FDP vorgelegt hat, unter Gelb-Schwarz nichts übrig geblieben ist. Sie haben immer gesagt, wir sollten die Anzahl der Staatssekretäre reduzieren usw. Nichts davon ist übrig geblieben. Das ist wirklich sehr, sehr peinlich.

Wir müssen eine nachhaltige Finanzpolitik machen. Wir haben unsere steuerpolitischen Vorschläge eingebracht. Diese Vorschläge sind vernünftig. Sie fördern Wachstum. Vor allen Dingen führen sie dazu, dass die öffentliche Ebene wieder handlungsfähig ist.

Die Bilanz der schwarz-gelblichen Regierung ist nach zwei Jahren keine gute. Nichts ist von den Wahlversprechen übrig geblieben. Was ist denn mit „mehr Netto vom Brutto“? Die Leute können doch nachschauen. Nach zwei Jahren Regierung von Schwarz-Gelb haben sie weniger Netto vom Brutto. Es ist richtig: Deutschland hat eine andere, eine bessere Regierung verdient und das möglichst schnell, meine Damen und Herren.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)